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155„Blut
und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher
alistischen „Blut und Boden“-Ideologen den zur intellektuellen Normalität ge-
wordenen Agrarismus ins Extrem. Dabei setzte der mit Schweinezucht vertraute
Diplomlandwirt Darré zwei entscheidende Akzente : Das „Blut“ wurde als neu zu
züchtende „Rasse“, der „Boden“ als neu zu erringender „Lebensraum“ umgedeu-
tet.25 Mithin erscheinen „Rassenzucht“ und „Lebensraumnot“ als die bestimmen-
den Momente des nationalsozialistischen Agrarismus. Fluchtpunkt dieser rassis-
tischen und imperialistischen Visionen war das „Bauerntum“ als Kollektiv, das
scharf vom individualistischen „Landwirt“ abgehoben wurde. In einem program-
matischen Artikel aus dem Jahr 1932 brachte Darré den Gegensatz von „Bauer“
und „Landwirt“ auf den Punkt :
„Man kann innerhalb einer zeitgenössischen germanisch bedingten Bevölkerung zwei
grundsätzlich verschiedene Einteilungen der landbestellenden Bevölkerung vorneh-
men : 1. Bauern, 2. Landwirte. Der Unterschied liegt kurz gesagt darin, daß der Bauer
ein familienrechtlicher Begriff ist, während der Landwirt, wie schon sein Name sagt,
ein wirtschaftlicher Begriff ist. Das heißt : Bauerntum bedeutet die familienrechtli-
che Sicherung der Geschlechterfolge auf der Scholle ; dieser Grundgedanke des Bau-
erntums stammt aus dem germanischen Mythos […]. Landwirt bedeutet die wirt-
schaftliche Auswertung einer ländlichen Produktionsstätte ; der Begriff des Landwirts
taucht im germanischen Kulturkreise erst mit dem sich entwickelnden Geldwesen auf.
Beim Bauerntum spielt die landwirtschaftliche Betätigung im Wesen der Sache nur
eine ernährende Rolle im Dienst des Familiengedankens, welcher grundsätzlich allen
Erwägungen vorangestellt wird. Beim Landwirt spielt die landwirtschaftliche Betä-
tigung eine Erwerbsrolle, und dieser gewinnbringende Erwerb wird allen sonstigen
Erwägungen vorangestellt. Beim Bauern wird der Boden daher nie zur Ware, denn
dieser ist ja nur ein Teil, sozusagen der ernährende Teil, eines Familiengedankens.
Beim Landwirt ist das Werden des Bodens zur Ware Voraussetzung seines Daseins
überhaupt ; er braucht die wirtschaftliche Freizügigkeit, um den höchsten wirtschaft-
lichen Ertrag und damit Gewinn zu erzielen. Der Bauer denkt daher weltanschaulich
im „Wir“ des Familiengedankens. Der Landwirt denkt im „Ich“ des bestmöglichen
Reingewinns. Der Bauer hat neben sich mitarbeitende Hausgenossen. Der Landwirt
spaltet sich auf in Arbeitgeber und Arbeitnehmer, samt sämtlichen Folgerungen die-
ses Zustands. Beim Bauern liegt der Schwerpunkt seines Denkens in seinem Ge-
schlecht und dem damit gekoppelten „Hof“. Beim Landwirt liegt der Schwerpunkt
seines Denkens im Absatzmarkt.“26
Die nationalsozialistischen „Blut und Boden“-Phrasen aus einer Nach–1945er-Per-
spektive schlichtweg als irrational abzutun, würde die Antwort auf die Frage nach
ihrer Wirkungsmächtigkeit verfehlen ; denn was dieser Metapher in der NS-Ära
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Schlachtfelder
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Schlachtfelder
- Subtitle
- Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
- Author
- Ernst Langthaler
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20065-9
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 948
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorwort 9
- 1. Akteure in Agrarsystemen 11
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
- 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
- Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
- 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
- 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
- 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
- 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
- 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
- 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
- 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
- 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
- 2.9 Zusammenfassung 149
- 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
- Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
- 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
- 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
- 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
- 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
- 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
- 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
- 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
- 3.8 Zusammenfassung 253
- 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
- Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
- 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
- Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
- 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
- Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
- 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
- Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
- 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
- Anmerkungen 755
- Tabellenanhang 824
- Farbabbildungsanhang 849
- Quellen- und Literaturverzeichnis 865
- Abkürzungsverzeichnis 918
- Tabellenverzeichnis 920
- Abbildungsverzeichnis 927
- Personenregister 933
- Ortsregister 934
- Sachregister 937