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163Regulative
der Ent- und Verwurzelung
neren, weniger einträglichen Parzellen konnten wegen hoher Transaktions- und
sonstiger Kosten nur mehr schleppend an den Mann gebracht werden. Aufgrund
dieser inneren und äußeren Widersprüche – und entgegen der offiziellen Lesart,
man wolle die Rückkehr der bäuerlichen Frontsoldaten nach dem „Endsieg“ ab-
warten56
– dürfte die „Arisierung“ in Niederdonau, wie im „Altreich“,57 1942 weit-
gehend zum Erliegen gekommen sein.58
Lässt sich die schrittweise Radikalisierung, die das Regelwerk der exklusiven
Bodenpolitik erfuhr, auch für die inklusive Bodenpolitik ausmachen ? Zunächst
unterschieden sich die beiden Seiten der nationalsozialistischen Bodenpolitik da-
durch, dass auf dem Gebiet der Landbesitzrechte von „Ariern“ der „Normenstaat“
gegenüber dem „Maßnahmenstaat“ die Oberhand hatte. Im August 1938 traten
die zentralen Teile des Bodenrechts im „Altreich“ auch im „Lande Österreich“ mit
kleineren Anpassungen in Kraft : die Verordnung über die Grundstückverkehrsbe-
kanntmachung (GVB) von 1937,59 die das österreichische Grundverkehrsgesetz
von 1919 ablöste, und das Reichserbhofgesetz (REG) von 1933, das über beste-
hende Landesgesetze zur Hofvererbung60 weit hinausging, samt seinen Durchfüh-
rungsbestimmungen von 1936.61 Beide Regelungen schränkten die Verfügung der
Grundeigentümer/-innen über ihren Besitz erheblich ein, gemäß der „Aufgabe der
Volks- und Staatsführung, den Grund und Boden der Spekulation, dem Geschäfts-
verkehr überhaupt und auch der willkürlichen Herrschaft des jeweiligen Eigentü-
mers zu entziehen“.62 Politisch-ökonomische Triebfeder dieser Teilverstaatlichung
privater Landbesitzrechte war das Postulat der „Ernährungssicherung“, das spätes-
tens seit Inkrafttreten des Vierjahresplans 1936 die nationalsozialistische Agrar-
politik bestimmte.63 Die Verordnung zur GVB machte Eigentümerwechsel von
Grundstücken ab einem Hektar Größe von der Zustimmung der Agrarbezirksbe-
hörde nach Stellungnahme des Kreisbauernführers abhängig. Lag ein „erhebliches
öffentliches Interesse“ vor, konnte die Genehmigung versagt werden, etwa wenn
die „ordnungsmäßige Bewirtschaftung“ gefährdet schien, der neue Eigentümer
nicht als hauptberuflicher Landwirt galt, das Rechtgeschäft der „unwirtschaftli-
chen Zerschlagung des Grundstücks“ diente, die „wirtschaftliche Selbständigkeit“
eines Landwirtschaftsbetriebs beseitigt wurde oder der Gegenwert in einem „gro-
ben Missverhältnis“ zum Wert des Grundstücks stand.64 Eine weitere Einschrän-
kung des „ländlichen Grundverkehrs“ erfolgte 1942 durch einen „Führererlass“,
der „nicht unbedingt notwendige“ Eigentumswechsel, vor allem wenn Kriegsteil-
nehmer davon betroffen waren, untersagte ; dieses Verbot wurde im Jahr darauf auf
den bisher noch genehmigungsfreien Grundstückswechsel ausgedehnt.65 Zugleich
mit der Einschränkung des Eigentümerwechsels von Grundstücken wurde der
„Pächterschutz“ gesetzlich ausgeweitet. Das Gesetz über den Pächterschutz von
1933 wurde nach Kriegsbeginn ergänzt durch die Reichspachtschutzverordnung
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Schlachtfelder
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Schlachtfelder
- Subtitle
- Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
- Author
- Ernst Langthaler
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20065-9
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 948
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorwort 9
- 1. Akteure in Agrarsystemen 11
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
- 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
- Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
- 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
- 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
- 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
- 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
- 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
- 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
- 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
- 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
- 2.9 Zusammenfassung 149
- 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
- Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
- 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
- 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
- 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
- 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
- 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
- 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
- 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
- 3.8 Zusammenfassung 253
- 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
- Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
- 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
- Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
- 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
- Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
- 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
- Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
- 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
- Anmerkungen 755
- Tabellenanhang 824
- Farbabbildungsanhang 849
- Quellen- und Literaturverzeichnis 865
- Abkürzungsverzeichnis 918
- Tabellenverzeichnis 920
- Abbildungsverzeichnis 927
- Personenregister 933
- Ortsregister 934
- Sachregister 937