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Geschichte
Nach 1918
Schlachtfelder - Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
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164 „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe von 1940. Danach waren die Amtsgerichte ermächtigt, abgelaufene Pachtverträge „auf angemessene Zeit zu verlängern“, wenn dies zur „Sicherung der Volksernäh- rung“ oder für eine „gesunde Verteilung der Bodennutzung“ erforderlich schien ; weiters konnten Pächter/-innen mit mangelnder Eignung gerichtlich abgesetzt werden.66 Charakteristisch für die nationalsozialistische Auffassung von Land- besitzrechten war die Verbindung wirtschaftlicher und „rassischer“ Auslesemaß- stäbe : „Als Pächter ist förderungswürdig der tüchtige vor dem minder tüchtigen, der Kinderreiche und Erbgesunde vor dem Unverheirateten oder Erbkranken.“67 Eine Alternative zum Eigentümer- oder Besitzerwechsel eröffnete der 1943 vom Reichsbauernführer verkündete „Landnutzungstausch als Selbsthilfe im Kriege“. Das Verfahren hatte das Ziel, ohne Eingriffe in bestehende Rechtsverhältnisse zer- splitterte Parzellen zu größeren Einheiten zusammenzulegen ; weiters zielte der Landnutzungstausch auf die Zusammenlegung der Gründe von Betrieben, deren Leiter im Militärdienst waren, mit den Gründen anderer Betriebe. De jure war das Verfahren freiwillig, de facto wurde häufig Zwang auf die Beteiligten ausgeübt.68 Der „freiwillige Landnutzungstausch“ bot eine flexible Handhabe, um das starre Verfahren der Grundstückszusammenlegung, das mit Kriegsbeginn auf Eis gelegt wurde, zu umgehen.69 Über die behördliche Genehmigung von Kaufverträgen und anderen Formen des Grundeigentümerwechsels, Eingriffe in Landpachtverträge und schließlich Nutzungswechsel unter Umgehung des Eigentums- und Pachtrechts eignete sich der NS-Staat Schritt für Schritt Landbesitzrechte an. Zwar reichte der anti-libe- ralistische Impetus dieses Regelwerks nicht so weit, dass  – entsprechend sozialisti- scher Auffassungen  – das private Grundeigentum zur Gänze verstaatlicht wurde ; doch dessen Nutzung wurde gemäß des vom NS-Regime definierten „öffentlichen Interesses“ zunehmend staatlicher Steuerung unterworfen.70 So gesehen steuerte die nationalsozialistische Bodenpolitik auf einen dritten Weg zwischen Sozialis- mus und Liberalismus zu : anti-sozialistisch im Hinblick auf das Landeigentum, anti-liberalistisch im Hinblick auf die Landnutzung. Vor diesem Hintergrund erscheint die nationalsozialistische Erbhofpolitik weniger als Rückschritt in ei- nen „Neo-Feudalismus“,71 sondern eher als weiterer Schritt auf einem korporati- vistischen Entwicklungspfad, den viele europäische Staaten zwischen den beiden Weltkriegen, vor allem seit Ausbruch der Weltwirtschaftskrise, einschlugen.72 Der Agrarkorporativismus der 1930er Jahre eröffnete Alternativen sowohl zum westeu- ropäischen Liberalismus, der mit einer existenziellen Krise rang, als auch zum „real existierenden Sozialismus“ in Osteuropa.73 Zusammen mit der Verordnung zur Sicherung der Landbewirtschaftung 1937 und dem Gesetz zur Sicherung der Reichsgrenze vom selben Jahr74 verallgemei- nerte das Regelwerk zum „ländlichen Grundverkehr“ die staatliche Steuerung im
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Schlachtfelder Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
Title
Schlachtfelder
Subtitle
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Author
Ernst Langthaler
Publisher
Böhlau Verlag
Location
Wien
Date
2016
Language
German
License
CC BY-NC 3.0
ISBN
978-3-205-20065-9
Size
15.5 x 23.5 cm
Pages
948
Categories
Geschichte Nach 1918

Table of contents

  1. Vorwort 9
  2. 1. Akteure in Agrarsystemen 11
  3. Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
    1. 1.1 Von (Re-)Aktionsmustern zu Interaktionsfeldern 11
    2. 1.2 Agrarsysteme und Landwirtschaftsstile im Kräftefeld 16
    3. 1.3 Instrumente der Feldvermessung 26
  4. 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
  5. Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
    1. 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
    2. 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
    3. 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
    4. 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
    5. 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
    6. 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
    7. 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
    8. 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
    9. 2.9 Zusammenfassung 149
  6. 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
  7. Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
    1. 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
    2. 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
    3. 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
    4. 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
    5. 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
    6. 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
    7. 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
    8. 3.8 Zusammenfassung 253
  8. 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
  9. Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
    1. 4.1 Die Steuerung der „Landflucht“ 257
    2. 4.2 Die Steuerung des „Reichseinsatzes“ 277
    3. 4.3 Arbeit als alltägliches Kräftefeld 298
    4. 4.4 Gerechter Lohn oder Ausbeutung ? 322
    5. 4.5 „Menschenökonomie“ vor Ort 347
    6. 4.6 Zusammenfassung 371
  10. 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
  11. Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
    1. 5.1 „Bauerntum“ und Technik – (k)ein Widerspruch ? 375
    2. 5.2 „Bauernstolz“ oder Klientenmentalität ? 385
    3. 5.3 Staatshilfe als „Auslese“ 404
    4. 5.4 „Aufrüstung“ in den Bergen 436
    5. 5.5 Kapitaleinsatz vor Ort 472
    6. 5.6 Zusammenfassung 494
  12. 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
  13. Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
    1. 6.1 Das agronomische Expertensystem 497
    2. 6.2 Vordenker des „Aufbaus“ 506
    3. 6.3 Bindeglied zwischen Führung und „Landvolk“ ? 518
    4. 6.4 Wirtschaftsberatung vor Ort 534
    5. 6.5 Die imaginierte „Volksgemeinschaft“ 543
    6. 6.6 Zusammenfassung 566
  14. 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
  15. Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
    1. 7.1 Der Markt und seine (Un-)Ordnung 570
    2. 7.2 Lange Schatten, kurzer Prozess 585
    3. 7.3 Öffentliche Bewirtschaftung, privates Wirtschaften 593
    4. 7.4 Die verlorene „Erzeugungsschlacht“ ? 620
    5. 7.5 „Kriegserzeugungsschlacht“ vor Ort 642
    6. 7.6 Vom Wert der Landarbeit 669
    7. 7.7 Zusammenfassung 695
  16. 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
  17. Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
    1. 8.1 Jenseits von Traditionalität und Modernität 699
    2. 8.2 Großbritannien und die Ostmark im Krieg 709
    3. 8.3 Österreich zwischen Krise und Boom 726
    4. 8.4 Versuchsstation des völkischen Produktivismus 742
  18. Anmerkungen 755
  19. Tabellenanhang 824
  20. Farbabbildungsanhang 849
  21. Quellen- und Literaturverzeichnis 865
  22. Abkürzungsverzeichnis 918
  23. Tabellenverzeichnis 920
  24. Abbildungsverzeichnis 927
  25. Personenregister 933
  26. Ortsregister 934
  27. Sachregister 937
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