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175Das
Doppelgesicht der Bodenordnung
Der Bericht schloss mit dem Hinweis : „Bezüglich jener Teilflächen des Gutes, wel-
che für Siedlungszwecke herangezogen wurden, stehen der Rückstellung überwiegend
öffentliche Interessen entgegen [Hervorhebung im Original].“118 Auf den „arisierten“
Gründen des Guts Schwarzenau wurde neben drei Einzelhöfen die im Waldviertel
„flächenmäßig größte und vom Erscheinungsbild uniformer sieben Höfe auffäl-
ligste Siedlung“119 mit der Bezeichnung „Alm“ errichtet. Die kurze Zeitspanne
zwischen dem Beschluss zur Entsiedlung des Truppenübungsplatzgeländes und
dem Abschluss des Kaufvertrags über den Gutsbesitz sowie die fast vollständige
Verwertung der „arisierten“ Landwirtschaftsfläche für die Neuansiedlung der
Döllersheimer Aussiedler/-innen belegen den bodenpolitischen Zusammenhang
zwischen den beiden Transaktionen im Besonderen, zwischen „Arisierung“ und
Erbhofbildung im Allgemeinen.
Wie in Schwarzenau und im angrenzenden Klein Reichenbach entstanden bis
Kriegsende in der nördlich des Truppenübungsplatzes gelegenen Grenzregion, in
Lexnitz, Pfaffenschlag, Schellings und Unterthumeritz, 45 von 77 nachweislich ge-
planten „Siedlerstellen“ ; davon wurden 36 als neugebaute „Musterhöfe“ und neun
durch Um- und Ausbauten bestehender Guts- und Meierhöfe geschaffen.120 Mit
der Planung der standardisierten „Umsiedlungsgehöfte“ mit zehn, 15 oder 20 Hek-
tar Grundausstattung wurde der auf Bauernhöfe spezialisierte Berliner Architekt
Willi Erdmann beauftragt.121 Die in den „Umsiedlungsgehöften“ nach „rationel-
len“ Gesichtspunkten geplanten Betriebseinrichtungen wie Gär- und Trocken-
futtersilos, Elektrifizierung sowie Jauchegrube und Düngestätte übertrafen den
zeit- und ortsüblichen Standard der Betriebsausstattung. Die Bauten wurden meist
abseits der geschlossenen Dorfsiedlungen des nördlichen Waldviertels mit zehn bis
20 Hektar Grundausstattung in arrondierter Lage errichtet : „Infolgedessen kamen
die Betriebe in die unmittelbare Nähe ihrer Felder zu liegen, wodurch eine we-
sentliche Zeitersparnis infolge der Verkürzung der Anmarschwege erzielt wurde.“
Zugleich mit dem Bemühen, „einen hinsichtlich der Baugestaltung wie nach Lage
der Äcker allen neuzeitlichen Anforderungen entsprechenden Hof zu schaffen“,
nahm die Planung Anleihen bei der Bautradition des Waldviertler Dreiseithofes
(Abbildung 3.4) : „Das Umsiedlungsgehöft berücksichtigt in seiner Gestaltung
zwar die Eigenarten der Waldviertler Bauweise, passt sich aber dabei den Erfor-
dernissen einer zweckmäßigen Bewirtschaftungs- und Wohnweise an.“122 Folglich
erscheinen die „Umsiedlungsgehöfte“ als ein Stück erfundener Bautradition, die
dem standardisierten Neuentwurf den Anschein des Bodenständigen und dadurch
Akzeptanz verschaffen sollte : „Der ideologisch-baukulturelle Anspruch regionaler
Formen und Fertigung wurde lediglich mit deren Zitat beantwortet und konnte
aus Kostengründen nur aus serieller Produktion stammen wie überhaupt nur For-
men infrage kamen, die sich für rationelle Produktion eigneten.“123 Die standardi-
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Schlachtfelder
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Schlachtfelder
- Subtitle
- Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
- Author
- Ernst Langthaler
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20065-9
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 948
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorwort 9
- 1. Akteure in Agrarsystemen 11
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
- 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
- Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
- 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
- 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
- 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
- 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
- 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
- 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
- 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
- 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
- 2.9 Zusammenfassung 149
- 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
- Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
- 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
- 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
- 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
- 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
- 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
- 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
- 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
- 3.8 Zusammenfassung 253
- 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
- Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
- 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
- Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
- 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
- Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
- 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
- Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
- 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
- Anmerkungen 755
- Tabellenanhang 824
- Farbabbildungsanhang 849
- Quellen- und Literaturverzeichnis 865
- Abkürzungsverzeichnis 918
- Tabellenverzeichnis 920
- Abbildungsverzeichnis 927
- Personenregister 933
- Ortsregister 934
- Sachregister 937