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182 „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe
machen. So plädierte der Dissertant Kurt Tomasi 1944 für eine agrarstrukturelle
„Gesundung“ in der Region Litschau :
„Im Wege einer vernünftigen Raumplanung sollen nach und nach alle lebensuntaug-
lichen Auslaufbetriebe erfasst und dazu verwendet werden, den Siedlungsverhältnis-
sen eine gesunde Grundlage zu geben. Insbesondere sollten die Betriebe zwischen
5–10 ha Grundzulagen erhalten, um die Zahl der Erbhöfe zu vermehren, während
die Klein- und Kleinstbetriebe als solche zu belassen wären. Es müssten auch vom
Großgrundbesitz entsprechende Waldzulagen für diese Höfe beschafft werden, wobei
als Voraussetzung die Beaufsichtigung des Bauernwaldes durch geschulte Forstorgane
festzulegen wäre.“141
Hier wird die Grenze der „Lebenstauglichkeit“ messerscharf gezogen : Betriebe
über fünf Hektar sollen zu Erbhöfen – unter Aufsicht von Experten – aufgestockt
werden ; kleinere Betriebe sollen als solche zunächst belassen werden, längerfristig
in den größeren aufgehen. Diese gegenüber den radikalen „Agrarstrukturberei-
nigung“ gemäßigte Variante dürfte der vorherrschenden Sicht der Dinge in den
Fachkreisen Niederdonaus entsprochen haben.
Während Anton Reinthaller im Allgemeinen die Umsiedlung bäuerlicher Be-
völkerungsteile aus seinem Machtbereich nicht nur goutierte, sondern auch dafür
warb, zeigte er im Besonderen Vorbehalte gegen die Umsetzung dieser Pläne im
Bergland.142 Die Planungsverantwortlichen hatten offenbar auch auf die Bergbau-
ern und -bäuerinnen als „Siedlungsreserve“ ein Auge geworfen. Eine Verschärfung
erfuhr der Konflikt zwischen Befürwortern und Gegnern einer Umsiedlung der
bergbäuerlichen Bevölkerung durch den Machtzuwachs Heinrich Himmlers, der
nach der Ablösung Richard W. Darrés 1942 die Kontrolle über die ländliche Sied-
lung im „Altreich“ an sich reißen konnte. Im Unterschied zu seinem Kontrahenten
maß der Reichskommissar für die Festigung deutschen Volkstums dem „Bauern-
tum“ als Fundament des „Volkes“ keine zentrale Rolle zu. Es zählte vorrangig die
„Rassenzugehörigkeit“ als Fundament eines „Germanischen Reiches“ ; ob deren
Träger ländlicher oder städtischer Herkunft waren, schien nachrangig.143 Konrad
Meyer, Himmlers Planungsbeauftragter für die Siedlung und ländliche Neuord-
nung, zählte im Oktober 1942, neben den Notstands- und Freiteilungsgebieten, die
Bergbauerngebiete ausdrücklich zu den „vordringlichen Zonen“, in denen zuerst
mit den „Sanierungsmaßnahmen“ begonnen werde.144 Die Aufruhr, die darüber in
der Berglandabteilung herrschte, äußerte sich unter anderem im Bestreben, Meyer
die Planungsunterlagen zur „ländlichen Neuordnung“ im Bergbauerngebiet vor-
zuenthalten.145 In diesem Interessenkonflikt sah sich Reinthaller zu einer Pres-
seoffensive veranlasst ; in einem Artikel in der von Herbert Backe, dem Nachfolger
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Schlachtfelder
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Schlachtfelder
- Subtitle
- Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
- Author
- Ernst Langthaler
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20065-9
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 948
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorwort 9
- 1. Akteure in Agrarsystemen 11
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
- 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
- Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
- 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
- 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
- 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
- 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
- 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
- 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
- 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
- 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
- 2.9 Zusammenfassung 149
- 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
- Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
- 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
- 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
- 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
- 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
- 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
- 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
- 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
- 3.8 Zusammenfassung 253
- 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
- Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
- 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
- Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
- 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
- Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
- 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
- Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
- 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
- Anmerkungen 755
- Tabellenanhang 824
- Farbabbildungsanhang 849
- Quellen- und Literaturverzeichnis 865
- Abkürzungsverzeichnis 918
- Tabellenverzeichnis 920
- Abbildungsverzeichnis 927
- Personenregister 933
- Ortsregister 934
- Sachregister 937