Page - 193 - in Schlachtfelder - Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Image of the Page - 193 -
Text of the Page - 193 -
193Verbäuerlichung
durch „Entjudung
Kaufpreises abzüglich der Zinsen an die Kaufwerber/-innen zurückzuzahlen und
der Ankauf durch die DAG „mit allen Mitteln zu fördern, damit baldmöglichst
[Hervorhebung im Original] klare Verhältnisse geschaffen werden“.162 Unter Hin-
weis auf ein „erhebliches öffentliches Interesse“ im Sinn der GVB lehnte das Land-
wirtschaftsministerium im März 1939 den Kaufvertrag ab.163 Die DAG nahm die
Vertragsverhandlungen mit dem Rechtsanwalt von Emil und Hugo Stein auf und
unterfertigte im September 1939 einen Kaufvertrag, der im Oktober 1939 von der
Oberen Siedlungsbehörde im Landwirtschaftsministerium genehmigt wurde. Der
Kaufpreis wurde gegenüber dem ursprünglichen, vom Anwalt der Kaufwerber/-
innen als niedrig eingeschätzten Betrag von 400.000 Reichsmark um mehr als die
Hälfte gedrückt ; nunmehr war der „Siedlungsverkehrswert“ von 193.000 Reichs-
mark maßgeblich.164 Mit der grundbücherlichen Einverleibung des Eigentums-
rechtes durch die DAG165 und der Überweisung des um Steuern, Abgaben und
Gebühren verminderten Erlöses von 100.251 Reichsmark auf die Auswanderer-
sperrkonten der vormaligen Besitzer166 war der Fall für die Obere Siedlungsbe-
hörde, die mittlerweile der Behörde des Reichsstatthalters in Niederdonau zu-
gehörte, abgeschlossen. Die in Aussicht genommene Parzellierung, Teilung und
Veräußerung der Gründe an die bäuerlichen Kaufwerber/-innen kam, wie bei den
meisten Gütern der DAG, vor Kriegende nicht mehr zustande ; die beiden Guts-
betriebe wurden eigenständig weitergeführt.167 Erst 1957, nachdem der Besitz als
„Deutsches Eigentum“ von der Sowjetischen Besatzungsmacht in die öffentliche
Verwaltung durch die Landwirtschaftskammer übergegangen war, wurde im Zuge
eines Rückstellungsverfahrens eine Fläche von 347 Hektar an 113 klein- und mit-
telbäuerliche Käufer/-innen veräußert.168 Auf diese Weise kam die ursprünglich
geplante, später aufgeschobene Verbäuerlichung der beiden Güter – freilich unter
anderen Umständen, aber mit ähnlichem Umverteilungseffekt – schließlich doch
zustande.
Wie die beiden Güter der Gebrüder Stein sollte auch der „arisierte“ Grund-
besitz der tschechischen Staatsbürger Alfred, Heinrich und Rudolf Glaser in der
Größe von 157 Hektar in Markgrafneusiedl in die Hand der DAG gelangen ;
doch es kam anders. Im August 1938 forderte der kommissarische Verwalter den
jüdischen Pächter auf, die Grundstücke der Vermögensverkehrsstelle zum Kauf
anzubieten ; dagegen erhoben die Besitzer Einspruch.169 Daraufhin verschärfte die
Vermögensverkehrsstelle auf Basis der Verordnung über den „Einsatz jüdischen
Vermögens“ vom Dezember 1938 die Gangart und beabsichtigte, den Verkauf
der Liegenschaft „auch ohne Zustimmung der Besitzer durchzuführen“.170 Im Juli
1939 erteilte die Obere Siedlungsbehörde im Landwirtschaftsministerium den
Besitzern den Auftrag, das Gut „innerhalb von 2 Wochen ab Zustellung an ei-
nen geeigneten Bewerber und zu einem angemessenen Preis zu veräussern und
back to the
book Schlachtfelder - Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945"
Schlachtfelder
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Schlachtfelder
- Subtitle
- Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
- Author
- Ernst Langthaler
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20065-9
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 948
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorwort 9
- 1. Akteure in Agrarsystemen 11
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
- 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
- Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
- 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
- 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
- 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
- 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
- 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
- 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
- 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
- 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
- 2.9 Zusammenfassung 149
- 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
- Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
- 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
- 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
- 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
- 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
- 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
- 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
- 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
- 3.8 Zusammenfassung 253
- 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
- Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
- 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
- Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
- 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
- Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
- 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
- Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
- 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
- Anmerkungen 755
- Tabellenanhang 824
- Farbabbildungsanhang 849
- Quellen- und Literaturverzeichnis 865
- Abkürzungsverzeichnis 918
- Tabellenverzeichnis 920
- Abbildungsverzeichnis 927
- Personenregister 933
- Ortsregister 934
- Sachregister 937