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204 „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe
fahren im AGB Eggenburg eng mit dem Weinbau verbunden gewesen sein. In den
Weinbaugemeinden kollidierte das Ideal des geschlossenen, über Generationen an
dieselbe „Sippe“ gebundenen Erbhofs augenscheinlich mit der Realität häufiger
Landtransfers in und zwischen den Familien ; dabei wurden Parzellen häufig ver-
und gekauft sowie getauscht.207 Die Kluft zwischen Norm und Praxis erhöhte wohl
auch das Risiko, gerichtliche Sanktionen zu erleiden. Somit lässt sich die Frage
nach den Eigenarten der Anerbengerichtsbarkeit im AGB Eggenburg auf unter-
schiedlichen Ebenen beantworten : Auf der Ebene der Agrarsysteme stand der rege
Bodenmarkt, vor allem im Weinbaugebiet, im Widerspruch zum gesetzlichen Tei-
lungs- und Veräußerungsverbot ; dadurch steigerte sich der amtliche Regulations-
aufwand. Auf der Ebene des Reichsnährstandes und der Gerichtsbehörden trach-
teten die Amtsträger in den ersten Jahren nach Einführung des REG, bäuerliche
Missstimmungen durch eine entgegenkommende Auslegung in Zaum zu halten.
Die Wechselwirkung beider Ebenen erklärt den im Vergleich zum Landkreis Stade
erheblichen Überhang an – großteils im Sinn der Erbhofeigentümer/-innen ent-
schiedenen – Bodennutzungs- und Sanktionsverfahren.
Tabelle 3.8 : Grundbesitzverteilung im AGB Eggenburg 1939
Gemeinden Betriebe
(Anz.) Anteil der Betriebe an der
Besitzgrößenklasse (%) Erbhof-
anteil
(%)0,5–5
ha 5–10
ha 10–20
ha 20–100
ha > 100
ha
Harmannsdorf 176 30,1 13,6 29,0 25,6 1,7 41,5
Sigmundsherberg 337 42,1 13,1 19,6 24,9 0,3 32,3
Gebiet ohne Weinbau 513 38,0 13,3 22,8 25,1 0,8 35,5
Eggenburg 348 52,0 17,2 20,1 9,8 0,9 25,6
Kattau 375 45,6 16,3 26,7 10,7 0,8 33,6
Röschitz 394 61,2 16,0 17,5 5,1 0,3 19,3
Straning 278 55,4 15,1 16,9 12,2 0,4 27,0
Weinbauzone 1.395 53,5 16,2 20,5 9,2 0,6 26,2
Gesamtheit 1.908 49,4 15,4 21,1 13,5 0,6 28,7
Anmerkung : Am 1. Oktober 1938 wurden zahlreiche Gemeinden des AGB mit Eggenburg, Har-
mannsdorf, Kattau, Röschitz, Sigmundsherberg und Straning zusammengelegt. Die Erbhofgerichtsak-
ten wurden jedoch nach den Gemeinden, die zum Zeitpunkt der Einführung des REG am 1. August
1938 bestanden, weitergeführt.
Quelle : eigene Berechnungen (Datenbasis : 156 Verfahren) nach NÖLA, BG Eggenburg, Erbhofakten ;
Statistisches Reichsamt (Hg.), Ergebnisse ; Arnberger (Hg.), Atlas, Bl. 87.
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Schlachtfelder
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Schlachtfelder
- Subtitle
- Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
- Author
- Ernst Langthaler
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20065-9
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 948
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorwort 9
- 1. Akteure in Agrarsystemen 11
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
- 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
- Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
- 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
- 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
- 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
- 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
- 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
- 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
- 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
- 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
- 2.9 Zusammenfassung 149
- 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
- Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
- 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
- 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
- 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
- 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
- 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
- 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
- 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
- 3.8 Zusammenfassung 253
- 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
- Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
- 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
- Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
- 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
- Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
- 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
- Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
- 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
- Anmerkungen 755
- Tabellenanhang 824
- Farbabbildungsanhang 849
- Quellen- und Literaturverzeichnis 865
- Abkürzungsverzeichnis 918
- Tabellenverzeichnis 920
- Abbildungsverzeichnis 927
- Personenregister 933
- Ortsregister 934
- Sachregister 937