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208 „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe
Spuren zu folgen, müssen wir von der Regional- und Lokalebene zur Ebene der
Haushalte und Betriebe umblenden. Die AEG konnten die im REG verankerte
Regel, dass Erbhöfe oder Teile davon unverkäuflich seien, beim Vorliegen „wichti-
ger Gründe“ ausnahmsweise außer Kraft setzen.210 Das AEG Eggenburg machte
reichlich Gebrauch von dieser Möglichkeit : Die Richter lehnten nur einen An-
trag auf Verkauf oder Tausch von Parzellen ab ; 28 von 30 Verkäufen und alle 18
Tauschgeschäfte wurden genehmigt. Die Besonderheiten des Falles von Johann
und Amalia Nigl lassen allgemeine Merkmale des Handels mit Parzellen vor dem
Erbhofgericht erkennen. Der Eigentümer und die Eigentümerin eines 42 Hektar
umfassenden Erbhofes in Kattau schlossen 1941 drei Verträge ab : einen Verkauf
von 0,3 Hektar Ackerland und Weingarten und zwei Tauschgeschäfte über 0,8
gegen 0,7 Hektar und 0,6 gegen 0,7 Hektar Ackerland. Die über den Notar des
Paares eingebrachte Begründung für den Grundverkauf lautete : „Diese Grundstü-
cke bilden ein gemeinsames Ganzes, bilden einen langen, schmalen Streifen, sind
mitten von Grundstücken anderer Besitzer umgeben, mit Maschinen überhaupt
nicht zu bearbeiten und von unserem Erbhofe so weit entfernt, dass sie nur mit
großem Zeitverlust von dort aus zu bewirtschaften sind.“211 Mit ähnlichen Argu-
menten wurden die beiden Tauschverträge begründet.212 Da die Anträge die Zu-
stimmung des Kreisbauernführers fanden und die „Ackernahrung“ nicht gefährdet
schien, sah das Gericht „wichtige Gründe“ für die Genehmigung der Kauf- und
Tauschverträge gegeben.213 Wie in diesem Fall argumentierten die meisten An-
träge auf Genehmigung von Kauf- oder Tauschverträgen mit betriebswirtschaftli-
chen Vorteilen. In Extremfällen lagen die betreffenden Parzellen 10, 20 oder mehr
Kilometer vom Hof entfernt.214 Je abgelegener das Grundstück war, umso über-
zeugender erschien die betriebswirtschaftliche Argumentation für den Verkauf und
den Tausch – und umso eher genehmigte das Gericht den bereits abgeschlossenen
Vertrag. War die eingehende Parzelle kleiner als die ausgehende, wurde mit dem
Ausgleich des Flächenverlustes durch die bessere Bodenfruchtbarkeit argumen-
tiert.215 Auch die Wahl des Geschäftspartners beeinflusste die Urteilsfindung :
Kauf- und Tauschgeschäfte mit „Erbhofbauern“ oder Hinweise auf die tüchtige
Betriebsführung des jeweiligen „Landwirts“ erhöhten die Wahrscheinlichkeit ge-
richtlicher Genehmigungen.216 Zudem stärkte der Hinweis, dass das betreffende
Grundstück bereits seit Jahren an den Käufer oder Tauschpartner verpachtet ge-
wesen sei, die Argumentation.217 Freilich prüfte das AEG in allen Fällen, ob durch
das Rechtsgeschäft die „Ackernahrung“ des Erbhofes gefährdet wurde ; wäre die
Grundbesitzgröße unter dieses Maß geschrumpft, versagten die Richter dem An-
trag die Genehmigung.218
Die oftmalige Entscheidung, abgelegene Parzellen zu verkaufen oder gegen hof-
nähere einzutauschen, veränderte langsam, aber stetig die wechselseitigen Lagebe-
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Schlachtfelder
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Schlachtfelder
- Subtitle
- Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
- Author
- Ernst Langthaler
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20065-9
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 948
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorwort 9
- 1. Akteure in Agrarsystemen 11
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
- 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
- Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
- 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
- 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
- 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
- 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
- 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
- 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
- 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
- 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
- 2.9 Zusammenfassung 149
- 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
- Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
- 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
- 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
- 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
- 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
- 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
- 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
- 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
- 3.8 Zusammenfassung 253
- 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
- Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
- 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
- Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
- 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
- Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
- 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
- Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
- 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
- Anmerkungen 755
- Tabellenanhang 824
- Farbabbildungsanhang 849
- Quellen- und Literaturverzeichnis 865
- Abkürzungsverzeichnis 918
- Tabellenverzeichnis 920
- Abbildungsverzeichnis 927
- Personenregister 933
- Ortsregister 934
- Sachregister 937