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Nach 1918
Schlachtfelder - Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
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211Schollenbindung oder Parzellenhandel ? ständnis aufbringen, es doch ihre Enkel einmal dem Anerbengericht danken wer- den, dass es den wertvollen Wald dem Erbhof erhalten und auf diese Weise des- sen Schwächung verhindert hat“.227 Damit nahmen sie die Reserve des Ehepaares gegenüber dem REG resignierend zur Kenntnis und richteten ihre Hoffnung auf künftige Generationen von „Erbhofbauern“. Diese Assoziation scheint charakteris- tisch für die Erbhofgerichtsbarkeit in der „Übergangsphase“ der ersten Jahre nach Einführung des REG : Während im Erfahrungshintergrund der Protagonisten Erb- hofideologie und Bauernmentalität aufgrund des bäuerlichen Unverständnisses noch auseinanderklafften, verschmolzen sie im Erwartungshorizont zu einem harmoni- schen Ganzen. Vielleicht liegt hier ein Schlüssel zum Verständnis des scheinbaren Widerspruchs zwischen häufigem Entgegenkommen228 und  – wie im vorliegenden „Sabotage“-Fall  – vereinzelter Unerbittlichkeit : Die Richterschaft verstand sich of- fenbar, über die bloße Verwaltungstätigkeit hinaus, als Agent der „Menschenfüh- rung“229  – eines Erziehungsprojekts zur Schaffung des „deutschen Bauern“, in dem taktische Nachgiebigkeit und strategische Beharrlichkeit einander ergänzten. Dieser Fall lenkt unsere Aufmerksamkeit vom Parzellenverkauf und -tausch auf die Hofübergabe, einer entscheidenden Weichenstellung hinsichtlich der Vertei- lung von Besitz und Macht in der ländlichen Gesellschaft.230 Dem Buchstaben des Gesetzes nach war es ausgeschlossen, einen Erbhof an mehr als einen Aner- ben zu übertragen ; ebenso war die volle Entschädigung der nicht erbenden Nach- kommen mit Geld möglich.231 Zwar war im Reichsgau Niederdonau, vor allem in den westlich gelegenen Landkreisen, die geschlossene Weitergabe der Höfe an einen Alleinerben oder eine Alleinerbin üblich ; weichende Erben wurden jedoch meist finanziell oder natural, etwa durch kleinere Grundstücke, abgefunden. In den östlichen Landkreisen, vor allem in den Weinbaugebieten und in der Umge- bung Wiens, hatten sich seit der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert Formen der geteilten Vererbung von Grundbesitz verbreitet.232 Wie auch immer, der Grund- besitztransfer anlässlich der Hofübergabe war häufig eingebettet in wechselseitige Tauschbeziehungen zwischen den Generationen derselben Familie : Als Vorleis- tung auf das zukünftige Erbe oder zumindest eine Abfindung leisteten unverheira- tete Söhne und Töchter im elterlichen Haushalt un- oder unterbezahlte Arbeit für den bäuerlichen Familienbetrieb ; meist arbeiteten sie ohne Geldlohn, abgesehen von einem geringfügigen „Taschengeld“, für Kost und Quartier.233 Im AGB Eg- genburg verschwammen die, etwa in volkskundlichen Kartierungen, scharf gezoge- nen Grenzen der „Anerben-“, „Realteilungs-“ und „Mischgebiete“ ; hier lagen nicht nur die Parzellen, sondern  – trotz Vorherrschens des Jüngsten- oder Minoratserbes mit ungeteilter Weitergabe des Grundbesitzes  – auch die Erbgewohnheiten im Gemenge.234 Damit waren Konflikte mit der Erbhofgerichtsbarkeit strukturell an- gelegt  – und wurden auch praktisch ausgetragen.
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Schlachtfelder Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
Title
Schlachtfelder
Subtitle
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Author
Ernst Langthaler
Publisher
Böhlau Verlag
Location
Wien
Date
2016
Language
German
License
CC BY-NC 3.0
ISBN
978-3-205-20065-9
Size
15.5 x 23.5 cm
Pages
948
Categories
Geschichte Nach 1918

Table of contents

  1. Vorwort 9
  2. 1. Akteure in Agrarsystemen 11
  3. Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
    1. 1.1 Von (Re-)Aktionsmustern zu Interaktionsfeldern 11
    2. 1.2 Agrarsysteme und Landwirtschaftsstile im Kräftefeld 16
    3. 1.3 Instrumente der Feldvermessung 26
  4. 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
  5. Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
    1. 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
    2. 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
    3. 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
    4. 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
    5. 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
    6. 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
    7. 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
    8. 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
    9. 2.9 Zusammenfassung 149
  6. 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
  7. Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
    1. 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
    2. 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
    3. 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
    4. 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
    5. 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
    6. 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
    7. 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
    8. 3.8 Zusammenfassung 253
  8. 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
  9. Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
    1. 4.1 Die Steuerung der „Landflucht“ 257
    2. 4.2 Die Steuerung des „Reichseinsatzes“ 277
    3. 4.3 Arbeit als alltägliches Kräftefeld 298
    4. 4.4 Gerechter Lohn oder Ausbeutung ? 322
    5. 4.5 „Menschenökonomie“ vor Ort 347
    6. 4.6 Zusammenfassung 371
  10. 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
  11. Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
    1. 5.1 „Bauerntum“ und Technik – (k)ein Widerspruch ? 375
    2. 5.2 „Bauernstolz“ oder Klientenmentalität ? 385
    3. 5.3 Staatshilfe als „Auslese“ 404
    4. 5.4 „Aufrüstung“ in den Bergen 436
    5. 5.5 Kapitaleinsatz vor Ort 472
    6. 5.6 Zusammenfassung 494
  12. 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
  13. Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
    1. 6.1 Das agronomische Expertensystem 497
    2. 6.2 Vordenker des „Aufbaus“ 506
    3. 6.3 Bindeglied zwischen Führung und „Landvolk“ ? 518
    4. 6.4 Wirtschaftsberatung vor Ort 534
    5. 6.5 Die imaginierte „Volksgemeinschaft“ 543
    6. 6.6 Zusammenfassung 566
  14. 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
  15. Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
    1. 7.1 Der Markt und seine (Un-)Ordnung 570
    2. 7.2 Lange Schatten, kurzer Prozess 585
    3. 7.3 Öffentliche Bewirtschaftung, privates Wirtschaften 593
    4. 7.4 Die verlorene „Erzeugungsschlacht“ ? 620
    5. 7.5 „Kriegserzeugungsschlacht“ vor Ort 642
    6. 7.6 Vom Wert der Landarbeit 669
    7. 7.7 Zusammenfassung 695
  16. 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
  17. Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
    1. 8.1 Jenseits von Traditionalität und Modernität 699
    2. 8.2 Großbritannien und die Ostmark im Krieg 709
    3. 8.3 Österreich zwischen Krise und Boom 726
    4. 8.4 Versuchsstation des völkischen Produktivismus 742
  18. Anmerkungen 755
  19. Tabellenanhang 824
  20. Farbabbildungsanhang 849
  21. Quellen- und Literaturverzeichnis 865
  22. Abkürzungsverzeichnis 918
  23. Tabellenverzeichnis 920
  24. Abbildungsverzeichnis 927
  25. Personenregister 933
  26. Ortsregister 934
  27. Sachregister 937
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