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Nach 1918
Schlachtfelder - Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
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214 „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe Vorstellung von ‚gerechter‘ Versorgung der Nachkommen stand im Widerspruch zur Rechtmäßigkeit der Übergabe eines Erbhofes. Da Sinn und Zweck des REG infrage standen, lehnte das AEG den Antrag ab. Als Urteilsbegründung diente das Argument, dass der Erbhof durch den Verlust der Waldparzelle „wesentlich geschwächt“ werde. Zudem wurde die Hoffnung des Anerben, sich auf diese Weise der Last seiner beiden versorgungsbedürftigen Geschwister zu entledigen, als Il- lusion verworfen.245 Wie bereits gezeigt, endete auch das Berufungsverfahren vor dem Erbhofgericht Wien, in dem Antragsteller und der Antragstellerin offen Kri- tik am REG äußerten, mit einer Absage an das vorgebrachte Ansinnen.246 Das außergewöhnlich Normale dieses Falles offenbart eine bäuerliche Wirtschaftslogik hinsichtlich des Besitztransfers, die dem Geist des REG widersprach  – und die Erbhofeigentümer/-innen und deren Rechtsvertreter bei Eingaben an das AEG für gewöhnlich wohl kaum als aussichtsreiche Argumentation in Betracht zogen. Außergewöhnliche, die Normalität enthüllende Fälle wie dieser führen weiter auf der Spur zu bäuerlichen Wirtschaftsstrategien, die bereits an der Zusammen- legung verstreuter Hofparzellen und der ‚gerechten‘ Versorgung der Nachkommen im Zuge der Hofübergabe fassbar geworden sind. Wenn auch die Mehrzahl der Anträge auf Ausnahmen vom gesetzlichen Veräußerungs- und Teilungsverbot an das AEG Eggenburg einzelne Parzellen betrafen, wurden solche Transaktionen in geringer Zahl auch für ganze Erbhöfe beantragt  – und vielfach bewilligt : Von sieben Anträgen auf Streichung eines Hofes aus der Erbhöferolle wurden zwei, von fünf beantragten Erbhofverkäufen alle genehmigt (Tabelle 3.7). Einen derartigen Antrag brachte Juliane Hopfinger, 72 Jahre alt, unverheiratet und kinderlos, 1938 ein. Sie beantragte die Genehmigung des Verkaufs ihres zehn Hektar großen Erb- hofs in Rafing an ein Bauernehepaar, das seinen Hof im Zuge der Entsiedlung im Raum Döllersheim im Landkreis Zwettl für Wehrmachtszwecke verloren hatte.247 Kreisbauernschaft und AEG unterstützten den Antrag unter der Auflage, dass auch die Parzellen, die die Verkäuferin zur Altersversorgung „zurückgehalten“ habe, in den Verkauf einbezogen werden.248 Alois Hopfinger, ein Neffe der Antragstelle- rin, legte gegen dieses Urteil Beschwerde ein und erhob Anspruch auf den Erb- hof, obwohl er bereits einen Erbhof in der Größe von neun Hektar besaß.249 Der von Juliane Hopfinger bevollmächtigte Notar konterte mit dem Vorliegen eines „wichtigen Grundes“ für den Verkauf : Wegen ihres hohen Alters sei die Besitzerin nicht mehr in der Lage, den Hof  – der bis auf die Weingärten seit Jahren verpach- tet gewesen sei  – ordnungsgemäß zu führen ; Alois Hopfinger, der einige infrage kommende Anerbe, sei auf Grund seiner Profitabsichten, Vertragsbrüchigkeit und nachlässigen Wirtschaftsführung moralisch und wirtschaftlich fragwürdig ; die Käufer hingegen seien „junge, tüchtige, kapitalskräftige, von der Wehrmacht ent- siedelte Bauern“, die eine ordnungsgemäße Wirtschaftsführung erwarten ließen.
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Schlachtfelder Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
Title
Schlachtfelder
Subtitle
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Author
Ernst Langthaler
Publisher
Böhlau Verlag
Location
Wien
Date
2016
Language
German
License
CC BY-NC 3.0
ISBN
978-3-205-20065-9
Size
15.5 x 23.5 cm
Pages
948
Categories
Geschichte Nach 1918

Table of contents

  1. Vorwort 9
  2. 1. Akteure in Agrarsystemen 11
  3. Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
    1. 1.1 Von (Re-)Aktionsmustern zu Interaktionsfeldern 11
    2. 1.2 Agrarsysteme und Landwirtschaftsstile im Kräftefeld 16
    3. 1.3 Instrumente der Feldvermessung 26
  4. 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
  5. Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
    1. 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
    2. 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
    3. 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
    4. 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
    5. 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
    6. 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
    7. 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
    8. 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
    9. 2.9 Zusammenfassung 149
  6. 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
  7. Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
    1. 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
    2. 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
    3. 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
    4. 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
    5. 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
    6. 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
    7. 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
    8. 3.8 Zusammenfassung 253
  8. 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
  9. Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
    1. 4.1 Die Steuerung der „Landflucht“ 257
    2. 4.2 Die Steuerung des „Reichseinsatzes“ 277
    3. 4.3 Arbeit als alltägliches Kräftefeld 298
    4. 4.4 Gerechter Lohn oder Ausbeutung ? 322
    5. 4.5 „Menschenökonomie“ vor Ort 347
    6. 4.6 Zusammenfassung 371
  10. 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
  11. Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
    1. 5.1 „Bauerntum“ und Technik – (k)ein Widerspruch ? 375
    2. 5.2 „Bauernstolz“ oder Klientenmentalität ? 385
    3. 5.3 Staatshilfe als „Auslese“ 404
    4. 5.4 „Aufrüstung“ in den Bergen 436
    5. 5.5 Kapitaleinsatz vor Ort 472
    6. 5.6 Zusammenfassung 494
  12. 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
  13. Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
    1. 6.1 Das agronomische Expertensystem 497
    2. 6.2 Vordenker des „Aufbaus“ 506
    3. 6.3 Bindeglied zwischen Führung und „Landvolk“ ? 518
    4. 6.4 Wirtschaftsberatung vor Ort 534
    5. 6.5 Die imaginierte „Volksgemeinschaft“ 543
    6. 6.6 Zusammenfassung 566
  14. 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
  15. Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
    1. 7.1 Der Markt und seine (Un-)Ordnung 570
    2. 7.2 Lange Schatten, kurzer Prozess 585
    3. 7.3 Öffentliche Bewirtschaftung, privates Wirtschaften 593
    4. 7.4 Die verlorene „Erzeugungsschlacht“ ? 620
    5. 7.5 „Kriegserzeugungsschlacht“ vor Ort 642
    6. 7.6 Vom Wert der Landarbeit 669
    7. 7.7 Zusammenfassung 695
  16. 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
  17. Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
    1. 8.1 Jenseits von Traditionalität und Modernität 699
    2. 8.2 Großbritannien und die Ostmark im Krieg 709
    3. 8.3 Österreich zwischen Krise und Boom 726
    4. 8.4 Versuchsstation des völkischen Produktivismus 742
  18. Anmerkungen 755
  19. Tabellenanhang 824
  20. Farbabbildungsanhang 849
  21. Quellen- und Literaturverzeichnis 865
  22. Abkürzungsverzeichnis 918
  23. Tabellenverzeichnis 920
  24. Abbildungsverzeichnis 927
  25. Personenregister 933
  26. Ortsregister 934
  27. Sachregister 937
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