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214 „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe
Vorstellung von ‚gerechter‘ Versorgung der Nachkommen stand im Widerspruch
zur Rechtmäßigkeit der Übergabe eines Erbhofes. Da Sinn und Zweck des REG
infrage standen, lehnte das AEG den Antrag ab. Als Urteilsbegründung diente
das Argument, dass der Erbhof durch den Verlust der Waldparzelle „wesentlich
geschwächt“ werde. Zudem wurde die Hoffnung des Anerben, sich auf diese Weise
der Last seiner beiden versorgungsbedürftigen Geschwister zu entledigen, als Il-
lusion verworfen.245 Wie bereits gezeigt, endete auch das Berufungsverfahren vor
dem Erbhofgericht Wien, in dem Antragsteller und der Antragstellerin offen Kri-
tik am REG äußerten, mit einer Absage an das vorgebrachte Ansinnen.246 Das
außergewöhnlich Normale dieses Falles offenbart eine bäuerliche Wirtschaftslogik
hinsichtlich des Besitztransfers, die dem Geist des REG widersprach – und die
Erbhofeigentümer/-innen und deren Rechtsvertreter bei Eingaben an das AEG
für gewöhnlich wohl kaum als aussichtsreiche Argumentation in Betracht zogen.
Außergewöhnliche, die Normalität enthüllende Fälle wie dieser führen weiter
auf der Spur zu bäuerlichen Wirtschaftsstrategien, die bereits an der Zusammen-
legung verstreuter Hofparzellen und der ‚gerechten‘ Versorgung der Nachkommen
im Zuge der Hofübergabe fassbar geworden sind. Wenn auch die Mehrzahl der
Anträge auf Ausnahmen vom gesetzlichen Veräußerungs- und Teilungsverbot an
das AEG Eggenburg einzelne Parzellen betrafen, wurden solche Transaktionen
in geringer Zahl auch für ganze Erbhöfe beantragt – und vielfach bewilligt : Von
sieben Anträgen auf Streichung eines Hofes aus der Erbhöferolle wurden zwei, von
fünf beantragten Erbhofverkäufen alle genehmigt (Tabelle 3.7). Einen derartigen
Antrag brachte Juliane Hopfinger, 72 Jahre alt, unverheiratet und kinderlos, 1938
ein. Sie beantragte die Genehmigung des Verkaufs ihres zehn Hektar großen Erb-
hofs in Rafing an ein Bauernehepaar, das seinen Hof im Zuge der Entsiedlung im
Raum Döllersheim im Landkreis Zwettl für Wehrmachtszwecke verloren hatte.247
Kreisbauernschaft und AEG unterstützten den Antrag unter der Auflage, dass auch
die Parzellen, die die Verkäuferin zur Altersversorgung „zurückgehalten“ habe, in
den Verkauf einbezogen werden.248 Alois Hopfinger, ein Neffe der Antragstelle-
rin, legte gegen dieses Urteil Beschwerde ein und erhob Anspruch auf den Erb-
hof, obwohl er bereits einen Erbhof in der Größe von neun Hektar besaß.249 Der
von Juliane Hopfinger bevollmächtigte Notar konterte mit dem Vorliegen eines
„wichtigen Grundes“ für den Verkauf : Wegen ihres hohen Alters sei die Besitzerin
nicht mehr in der Lage, den Hof
– der bis auf die Weingärten seit Jahren verpach-
tet gewesen sei – ordnungsgemäß zu führen ; Alois Hopfinger, der einige infrage
kommende Anerbe, sei auf Grund seiner Profitabsichten, Vertragsbrüchigkeit und
nachlässigen Wirtschaftsführung moralisch und wirtschaftlich fragwürdig ; die
Käufer hingegen seien „junge, tüchtige, kapitalskräftige, von der Wehrmacht ent-
siedelte Bauern“, die eine ordnungsgemäße Wirtschaftsführung erwarten ließen.
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Schlachtfelder
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Schlachtfelder
- Subtitle
- Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
- Author
- Ernst Langthaler
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20065-9
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 948
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorwort 9
- 1. Akteure in Agrarsystemen 11
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
- 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
- Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
- 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
- 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
- 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
- 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
- 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
- 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
- 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
- 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
- 2.9 Zusammenfassung 149
- 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
- Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
- 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
- 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
- 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
- 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
- 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
- 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
- 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
- 3.8 Zusammenfassung 253
- 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
- Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
- 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
- Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
- 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
- Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
- 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
- Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
- 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
- Anmerkungen 755
- Tabellenanhang 824
- Farbabbildungsanhang 849
- Quellen- und Literaturverzeichnis 865
- Abkürzungsverzeichnis 918
- Tabellenverzeichnis 920
- Abbildungsverzeichnis 927
- Personenregister 933
- Ortsregister 934
- Sachregister 937