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Nach 1918
Schlachtfelder - Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
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225Wer ist (k)ein „Bauer“ ? „verwahrlost“ und „verunkrautet“. Im „Interesse der Ernährungssicherheit“ müsse die „Verwaltung und Nutznießung“ dauerhaft an den mittlerweile von der Wehr- macht ausgemusterten Ehegatten übertragen werden. Dahinter verbarg sich offen- bar ein ehelicher Konflikt um die Verfügungsgewalt über den Hof : Die Frau, die den Hof entsprechend der Rechtslage zum Übergabezeitpunkt allein übernommen hatte, habe sich immer wieder ein „Einmengen“ ihres „nicht angeschrieben[en]“ Mannes in die Wirtschaftsführung verbeten ; auch die Begründung eines gemein- schaftlichen „Ehegattenerbhofes“ nach der Erbhoffortbildungsverordnung von 1943 sowie die Überschreibung des Erbhofes an die gemeinsame Tochter habe sie  – unter dem „schlecht[en]“ Einfluss ihrer Verwandtschaft  – abgelehnt.298 Der Ehemann, der das Vertrauen der Dienststellen des Reichsnährstandes genoss, suchte offenbar diesen Ehestreit vor Gericht zu seinen Gunsten zu entscheiden. Der zur Stellungnahme gebetene Bürgermeister von Ollern bekräftigte nicht nur die mangelnde „Bauernfähigkeit“ der Frau, sondern stellte auch dem Mann ein zweifelhaftes Zeugnis aus : Als gelernter Zimmermann verstehe Müller zwar die Bauernarbeit „ganz gut“ ; der Bürgermeister berichtete aber über das Gerücht einer außerehelichen Beziehung sowie über eine Brandstiftung, die aufgrund einer diag- nostizierten Geisteskrankheit straffrei geblieben war.299 Diese Argumente machte sich die Hofeigentümerin vor Gericht zunutze, um ihrem Ehegatten die „Ehrbar- keit“ und damit die „Bauernfähigkeit“ abzusprechen ; dies bekräftigte sie mit der Einleitung eines Scheidungsverfahrens. Daraufhin zog der Landesbauernführer seinen ursprünglichen Antrag zurück und beantragte die treuhändische Verwal- tung des Erbhofs. Die Frau entgegnete vor Gericht, dass die von der Kreisbauern- schaft festgestellten Missstände nicht auf mangelnder „Wirtschaftsfähigkeit“, son- dern auf dem eklatanten Arbeitskräftemangel beruhten.300 Dem Urteil des AEG im Fall Müller kam das Kriegsende zuvor. Das zum vierten Fall gehörende Verfahren hat seinen Ort im linken oberen Bereich des Raumes der „Bauernfähigkeit“. 1941 beantragte der Reichsnährstand, dem „Erbhofbauern“ Leopold Schweinhammer die „Ehrbarkeit“ abzuerkennen und die alleinige „Verwaltung und Nutznießung“ zweier Ehegattenerbhöfe im Ge- samtausmaß von 54 Hektar in Schudutz und Fehraberg im AGB Haag an dessen Frau Theresia für drei Jahre zu übertragen. Dem Antrag des Landesbauernführers zufolge habe Schweinhammer seine Fürsorgepflichten gegenüber dem 15-jährigen Pflichtjahrmädchen Anna Maurer, an dem er sich „sittlich vergangen“ hatte, „gröb- lichst missbraucht“.301 Erschwerend komme hinzu, dass es sich der NSDAP zufolge um einen „politisch und charakterlich durchaus defekten Volksgenossen“ handle, der als „Gegner der nationalsozialistischen Weltanschauung“ zu betrachten sei.302 Veranlasst wurde der Antrag auf „Abmeierung“ durch ein Urteil des Landgerichts St. Pölten, das Schweinhammer zwar vom Verdacht der „Notzucht“ Anna Maurers
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Schlachtfelder Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
Title
Schlachtfelder
Subtitle
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Author
Ernst Langthaler
Publisher
Böhlau Verlag
Location
Wien
Date
2016
Language
German
License
CC BY-NC 3.0
ISBN
978-3-205-20065-9
Size
15.5 x 23.5 cm
Pages
948
Categories
Geschichte Nach 1918

Table of contents

  1. Vorwort 9
  2. 1. Akteure in Agrarsystemen 11
  3. Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
    1. 1.1 Von (Re-)Aktionsmustern zu Interaktionsfeldern 11
    2. 1.2 Agrarsysteme und Landwirtschaftsstile im Kräftefeld 16
    3. 1.3 Instrumente der Feldvermessung 26
  4. 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
  5. Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
    1. 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
    2. 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
    3. 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
    4. 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
    5. 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
    6. 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
    7. 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
    8. 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
    9. 2.9 Zusammenfassung 149
  6. 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
  7. Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
    1. 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
    2. 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
    3. 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
    4. 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
    5. 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
    6. 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
    7. 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
    8. 3.8 Zusammenfassung 253
  8. 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
  9. Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
    1. 4.1 Die Steuerung der „Landflucht“ 257
    2. 4.2 Die Steuerung des „Reichseinsatzes“ 277
    3. 4.3 Arbeit als alltägliches Kräftefeld 298
    4. 4.4 Gerechter Lohn oder Ausbeutung ? 322
    5. 4.5 „Menschenökonomie“ vor Ort 347
    6. 4.6 Zusammenfassung 371
  10. 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
  11. Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
    1. 5.1 „Bauerntum“ und Technik – (k)ein Widerspruch ? 375
    2. 5.2 „Bauernstolz“ oder Klientenmentalität ? 385
    3. 5.3 Staatshilfe als „Auslese“ 404
    4. 5.4 „Aufrüstung“ in den Bergen 436
    5. 5.5 Kapitaleinsatz vor Ort 472
    6. 5.6 Zusammenfassung 494
  12. 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
  13. Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
    1. 6.1 Das agronomische Expertensystem 497
    2. 6.2 Vordenker des „Aufbaus“ 506
    3. 6.3 Bindeglied zwischen Führung und „Landvolk“ ? 518
    4. 6.4 Wirtschaftsberatung vor Ort 534
    5. 6.5 Die imaginierte „Volksgemeinschaft“ 543
    6. 6.6 Zusammenfassung 566
  14. 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
  15. Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
    1. 7.1 Der Markt und seine (Un-)Ordnung 570
    2. 7.2 Lange Schatten, kurzer Prozess 585
    3. 7.3 Öffentliche Bewirtschaftung, privates Wirtschaften 593
    4. 7.4 Die verlorene „Erzeugungsschlacht“ ? 620
    5. 7.5 „Kriegserzeugungsschlacht“ vor Ort 642
    6. 7.6 Vom Wert der Landarbeit 669
    7. 7.7 Zusammenfassung 695
  16. 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
  17. Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
    1. 8.1 Jenseits von Traditionalität und Modernität 699
    2. 8.2 Großbritannien und die Ostmark im Krieg 709
    3. 8.3 Österreich zwischen Krise und Boom 726
    4. 8.4 Versuchsstation des völkischen Produktivismus 742
  18. Anmerkungen 755
  19. Tabellenanhang 824
  20. Farbabbildungsanhang 849
  21. Quellen- und Literaturverzeichnis 865
  22. Abkürzungsverzeichnis 918
  23. Tabellenverzeichnis 920
  24. Abbildungsverzeichnis 927
  25. Personenregister 933
  26. Ortsregister 934
  27. Sachregister 937
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