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232 „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe
Kriegsbeginns im September 1939 auf die Landnutzung umreißen : Nichts deutet
auf eine dramatische Extensivierung hin ; vielmehr zeichneten sich regional unglei-
che Änderungen der Landausstattung und flächendeckende, wenn auch begrenzte
Ansätze zur Intensivierung der Bodennutzung ab. Von einer Einzementierung der
bäuerlichen Grundbesitzverhältnisse konnte demnach keine Rede sein.
Inwiefern erfuhren diese Tendenzen der Kulturflächenentwicklung ab dem
zweiten Kriegsjahr eine Fortsetzung oder Änderung ? Für die Jahre nach 1939/40
liegen für das Gebiet der Landesbauernschaft Donauland keine Buchführungs-
ergebnisse in größerem Umfang vor ; daher müssen wir zur Beantwortung dieser
Frage auf die Auswertung der Hofkartendaten 1941 bis 1944 zurückgreifen. Der
Vergleich der Kulturflächenangaben verschiedener Erhebungsjahre wirft einige
Quellenprobleme auf : Erstens über- oder unterschritten aufgrund von Zu- oder
Abnahmen der Kulturflächengrößen eine Reihe von Höfen die Erhebungsgrenze
von fünf bzw. zwei Hektar. Die betreffenden Höfe wurden von den Kleinbetriebs-
listen in die Hofkarten oder umgekehrt übertragen. Daher war es notwendig,
in den Kleinbetriebslisten und Hofkarten zusammengehörige Betriebe anhand
der Eigentümernamen und Hausadressen zu bestimmen und deren Angaben für
1941 bis 1944 zu verknüpfen. Zweitens verfügen, nicht alle der 1.552 für 1941
ausgewerteten Kleinbetriebslisten und Hofkarten über vollständige Angaben für
die Folgejahre. Dieses Problem war teils durch nachträgliche Korrekturen und
den Ausschluss eines Hofes mit ungenügenden Angaben in den Griff zu be-
kommen ; zum anderen Teil muss in Rechnung gestellt werden, dass eine größere
Zahl an Betrieben offenbar zeitweise oder zur Gänze stillgelegt wurde : Über 22
Höfe wurden für ein Jahr, über 13 Höfe für zwei Jahre und über 29 Höfe für drei
Jahre keine Aufzeichnungen in den Kleinbetriebslisten und Hofkarten geführt.
Nur in zwei Fällen finden sich Hinweise auf endgültige Betriebsauflassungen
durch Verkauf der Liegenschaft und Tod des Besitzers ;319 vermutlich handelte
es sich überwiegend um vorübergehende Stilllegungen, etwa durch Verpachtung
oder anderweitige Übertragungen von Nutzungsrechten. Vergleichsweise häufig
setzten Arbeiterbauernfamilien, Gewerbebauern, Nebenerwerbsbauernfamilien und
Weinhauerfamilien, mithin Eigentümer/-innen am unteren Ende der Besitzgrö-
ßenhierarchie, die Landbewirtschaftung für ein Jahr oder länger aus. Unter Ma-
schinenmännern, Mischwirtschaftern und Zuckerrübenbauern, die an der Spitze der
Besitzgrößenhierarchie rangierten, fanden keine Betriebsstilllegungen statt (Ta-
belle 3.13). Die Entscheidung zwischen Weiterbewirtschaftung und Stilllegung
des Hofes – ungeachtet der Tatsache, ob sie erzwungen oder gewählt war – stellte
sich vor allem für unterbäuerliche Gruppen ; für „Bauern“ im engeren Sinn be-
stand diese Alternative kaum.
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Schlachtfelder
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Schlachtfelder
- Subtitle
- Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
- Author
- Ernst Langthaler
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20065-9
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 948
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorwort 9
- 1. Akteure in Agrarsystemen 11
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
- 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
- Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
- 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
- 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
- 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
- 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
- 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
- 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
- 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
- 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
- 2.9 Zusammenfassung 149
- 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
- Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
- 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
- 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
- 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
- 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
- 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
- 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
- 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
- 3.8 Zusammenfassung 253
- 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
- Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
- 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
- Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
- 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
- Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
- 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
- Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
- 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
- Anmerkungen 755
- Tabellenanhang 824
- Farbabbildungsanhang 849
- Quellen- und Literaturverzeichnis 865
- Abkürzungsverzeichnis 918
- Tabellenverzeichnis 920
- Abbildungsverzeichnis 927
- Personenregister 933
- Ortsregister 934
- Sachregister 937