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237„Grundstücksverkehr“
vor Ort
Kulturflächenentwicklung der Gutsbetriebe im Kreis Gän sern dorf nicht durch-
gängig bestätigen lässt (Tabelle 3.17, Anhang). Bereits die Beispielbetriebe der vier
gutsbetrieblichen Agrarsysteme lassen unterschiedliche Entwicklungen erkennen :
Der Zuckermantelhof von Karl Steiner in Schönkirchen, der für die Gesinde-Ma-
schinengüter steht, zeigte die beständigste Kulturflächenentwicklung. Zwar wurden
bis 1944 sechs Hektar Ackerland in Wald umgewidmet ; doch insgesamt blieb die
bewirtschaftete Kulturfläche – abgesehen von 1942, als 35,3 Hektar Wald kurz-
fristig aus der Bewirtschaftung genommen wurden – gleich. Zugewinne von 10,2
Hektar oder 4 Prozent verzeichnete das Marktfrucht-Milchviehgut der Zuckerfa-
brik in Dürnkrut ; sie resultierten vor allem aus der Hinzunahme von Acker- und
Grünland 1942. Die übrigen beiden Gutsbetriebe verminderten die Kulturfläche
über die Jahre : Im Fall des Taglöhner-Maschinenguts von Leopold Hutter in Mark-
grafneusiedl beruhte die Verminderung um 37,2 Hektar oder mehr als ein Zehntel
der Kulturfläche vor allem auf der Abgabe von Ackerparzellen 1944. Das Getreide-
Milchviehgut der Stadt Wien in Markthof verlor 138,5 Hektar oder 17 Prozent vor
allem durch einen Waldverkauf 1942 ; die Verluste an Grünland und Zugewinne an
Ackerland fielen demgegenüber kaum ins Gewicht.
Betrachten wir die Gesamtheit der 37 Gutsbetriebe im Kreis Gän sern dorf.
Zwar zeigten drei Gutsbetriebe enorme Flächenschwankungen ; doch handelte
es sich um Ausnahmefälle : Im ersten Fall erwarb die Gutsverwaltung Coburg
in Ebenthal 1942 611 Hektar Wald, den sie im folgenden Jahr zusammen mit
dem bestehenden Forstbesitz von 424 Hektar veräußerte.321 Im zweiten und drit-
ten Fall wurde eine 206 Hektar umfassenden Liegenschaft in Markgrafneusiedl
mit einem in derselben Gemeinde gelegenen Gutsbesitz 1944 zusammengelegt ;
beide standen im Besitz der DAG.322 Doch in der Regel zeigten die übrigen 34
Gutsbetriebe – trotz leicht abnehmender Tendenz 1943, die sich in den beiden
Folgejahren stabilisierte – keine dramatischen Flächenverluste. Die deutlichsten
Verluste mussten die Gesinde-Maschinen- und Getreide-Milchviehgüter hinneh-
men ; die Kulturfläche der Taglöhner-Maschinengüter blieb im Großen und Gan-
zen konstant ; eine Zunahme verzeichneten die Marktfrucht-Milchviehgüter (Ta-
belle 3.18). Freilich, Zu- oder Abnahmen um einige Prozentpunkte bewegten bei
Betriebsgrößen von Hunderten oder Tausenden von Hektar erhebliche Mengen
an Land. Zudem verfügen wir für 1938 bis 1940, als bereits mehrere Gutsbetriebe
zerschlagen und an bäuerliche Bewerber/-innen übertragen wurden, über keine
Gesamtangaben. Dennoch, die vielfach geforderte „Verbäuerlichung“323 der Guts-
betriebe fand selbst im „volkspolitisch“ sensiblen Kreis Gän sern dorf 1941 bis 1944
nur in beschränktem Umfang statt. Laut einer Erhebung für 100 Gutsbetriebe auf
österreichischem Gebiet betrugen die Landabgaben während der NS-Ära ledig-
lich 7 Prozent.324
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Schlachtfelder
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Schlachtfelder
- Subtitle
- Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
- Author
- Ernst Langthaler
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20065-9
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 948
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorwort 9
- 1. Akteure in Agrarsystemen 11
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
- 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
- Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
- 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
- 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
- 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
- 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
- 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
- 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
- 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
- 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
- 2.9 Zusammenfassung 149
- 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
- Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
- 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
- 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
- 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
- 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
- 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
- 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
- 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
- 3.8 Zusammenfassung 253
- 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
- Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
- 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
- Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
- 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
- Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
- 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
- Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
- 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
- Anmerkungen 755
- Tabellenanhang 824
- Farbabbildungsanhang 849
- Quellen- und Literaturverzeichnis 865
- Abkürzungsverzeichnis 918
- Tabellenverzeichnis 920
- Abbildungsverzeichnis 927
- Personenregister 933
- Ortsregister 934
- Sachregister 937