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247„Grundstücksverkehr“
vor Ort
konnten (Tabelle 3.24). Als Grundzug des regionalen Landtransfers entpuppt sich
die Umverteilung vom unteren zum oberen Rand der Grundbesitzhierarchie – ab-
gesehen von der horizontalen Verschiebung zwischen den Zuckerrübenbauern und
Maschinenmännern in Weikendorf.
Halten wir die wesentlichen Ergebnisse des Gemeindevergleichs in den drei
Regionen fest : Der Landtransfer in den Regionen Litschau und Mank erwies
sich – trotz vereinzelter Wachstums- und Schrumpfungstendenzen – als ver-
gleichsweise wenig dynamisch. Hier wurde die Betriebsgrößenstruktur durch die
Praxis des seltenen, geringfügigen Landtransfers weitgehend reproduziert. Hin-
gegen war die Region Matzen durch einen weitaus dynamischeren Bodenmarkt
gekennzeichnet. Die Praxis des (Ver-)Kaufens, (Ver-)Pachtens und Tauschens von
Parzellen förderte eine stärkere Transformation der Betriebsgrößenstruktur. Viel-
fach wurde der Boden von den Kleineren zu den Größeren umverteilt ; manchmal
rangen die Besitzer/-innen gleichartiger Betriebe untereinander um die knappen
Landressourcen. Die unterschiedlichen Muster des Landtransfers in den drei Re-
gionen finden in der Verteilung der Landressourcen ihren Niederschlag : Die Un-
gleichheit der Verfügung über Kulturflächen änderte sich 1941 bis 1944 in der
Region Mank nicht und in der Region Litschau kaum ; hingegen nahm sie in der
Region Matzen merklich zu – und das innerhalb von nur drei Jahren (Abbildung
3.10). In diesen Unterschieden kommt die regionale und lokale Pfadabhängig-
keit des „Grundstücksverkehrs“ zum Ausdruck. Das bodenpolitische Regelwerk
auf Reichs- und Gauebene griff nicht allerorts in derselben Weise, sondern wurde
auf regionaler und lokaler Ebene, je nach Stärke und Richtung des betreffenden
Entwicklungspfades, in unterschiedlichen Ausprägungen wirksam. Kurz, die rela-
tive Statik des ländlichen Landtransfers in Litschau und Mank wie dessen relative
Dynamik in Matzen können nicht allein von der überregionalen Außenperspektive
abgeleitet werden, sondern müssen auch von innen – den regionalen und lokalen
Entwicklungspfaden – her erklärt und verstanden werden.
Als ein politisch-ökonomisches Moment der regionalen und lokalen Entwick-
lungspfade des „Grundstücksverkehrs“ wirkten die Grundbesitzgrößen und -rechte
in den jeweiligen Agrarsystemen, die der Erbhofbildung und „Arisierung“ unter-
schiedliche Spielräume eröffneten. Die Kreise Gmünd und Melk, denen die Regio-
nen Litschau und Mank angehörten, verfügten mit 42 bzw. 50 Prozent über erheb-
lich größere Flächenanteile an Erbhöfen als der Kreis Gän sern dorf einschließlich
der Region Matzen mit 32 Prozent ; das schloss, wie wir gesehen haben, Eigen-
tums- und Besitzwechsel nicht aus, bereitete jedoch beträchtliche bürokratische
Hürden.328 Zudem war in den Kreisen Gmünd und Melk das Potenzial an zu „ari-
sierenden“ Liegenschaften mit 110.000 bzw. 97.000 Reichsmark Vermögenswert
weitaus geringer als im Kreis Gän sern dorf mit 5,9 Millionen Reichsmark, wo „Ju-
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Schlachtfelder
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Schlachtfelder
- Subtitle
- Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
- Author
- Ernst Langthaler
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20065-9
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 948
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorwort 9
- 1. Akteure in Agrarsystemen 11
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
- 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
- Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
- 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
- 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
- 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
- 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
- 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
- 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
- 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
- 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
- 2.9 Zusammenfassung 149
- 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
- Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
- 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
- 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
- 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
- 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
- 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
- 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
- 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
- 3.8 Zusammenfassung 253
- 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
- Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
- 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
- Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
- 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
- Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
- 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
- Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
- 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
- Anmerkungen 755
- Tabellenanhang 824
- Farbabbildungsanhang 849
- Quellen- und Literaturverzeichnis 865
- Abkürzungsverzeichnis 918
- Tabellenverzeichnis 920
- Abbildungsverzeichnis 927
- Personenregister 933
- Ortsregister 934
- Sachregister 937