Web-Books
in the Austria-Forum
Austria-Forum
Web-Books
Geschichte
Nach 1918
Schlachtfelder - Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Page - 259 -
  • User
  • Version
    • full version
    • text only version
  • Language
    • Deutsch - German
    • English

Page - 259 - in Schlachtfelder - Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945

Image of the Page - 259 -

Image of the Page - 259 - in Schlachtfelder - Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945

Text of the Page - 259 -

259Die Steuerung der „Landflucht“ wird nur überwunden, wenn die NSDAP. aus ihrem Bekenntnis zum Blute, zur Rasse heraus den unerschütterlichen Entschluß fasst, sie unter allen Umständen zu überwinden“, so der verzweifelt anmutende Appell von Reichsbauernführer und Landwirtschaftsminister Richard W. Darré. Materielle Mittel allein reichten zur Problemlösung nicht aus ; vielmehr bedürfe es dazu eines ideellen Mittels, der „weltanschaulichen Einstellung zur Rasse“.16 Manche Forscher sehen darin einen irrationalen Ausfluss „ideologische[r] Blindheit“ als Symptom der „Unfähigkeit der nationalsozialistischen Führung, den tiefgreifenden Widersprüchen entgegen- zutreten, die sie selbst mit der Beschleunigung der industriellen Produktion her- vorgerufen hatten“.17 Entgegen einer derartigen ideologiekritischen Deutung lässt der Appell durchaus eine Art kommunikativer Rationalität erkennen  – die Stra- tegie, durch die Überspitzung der Problemlage dem Reichsnährstand im Inneren, gegenüber dem eigenen Funktionärskader, und nach außen hin, gegenüber anderen Herrschaftsträgern im polykratischen Gefüge des „Dritten Reiches“, Legitimität zu verschaffen. Wie auch immer, die „Landflucht“ bildete am Vorabend des Zwei- ten Weltkriegs das „zentrale agrarpolitische Problem“18 des NS-Regimes  – und damit einen Brennpunkt des offiziellen Agrardiskurses. „Landflucht“ stellte keine Wortschöpfung nationalsozialistischer Funktions- eliten dar ; der Begriff war bereits im agrarromantischen Diskurs des Deutschen Kaiserreiches geprägt worden.19 Auf dem Weg von der Agrar- zur Industriege- sellschaft im Allgemeinen, von getreide- und gesindeorientierten zu hackfrucht- basierten und (teil-)mechanisierten Agrarsystemen  – Stichworte : Zuckerrübe und Dreschmaschine  – im Besonderen sah sich das Wilhelminische Deutschland mit einer vielschichtigen, mehrere Stränge umfassenden Migration konfrontiert : der Auswanderung nach Übersee, der Ost-West-Binnenwanderung und der grenz- überschreitenden Saisonwanderung.20 Vor diesem Hintergrund wurde im ausge- henden 19. Jahrhundert der Ersatz von Landarbeitskräften deutscher Nationalität durch ausländische Saisonarbeiter/-innen in den östlichen Gutswirtschaftsregio- nen zum Gegenstand akademischer Debatten.21 So führte Max Weber im Rahmen der Landarbeiterenquête des Vereins für Socialpolitik 1891/92 die Land-Stadt- Wanderung auf den zunehmenden Interessengegensatz zwischen kapitalistischem Gutsbesitzer und proletarisiertem Landarbeiter zurück ; während er die Klassen- spaltung auf dem Land für unabwendbar hielt, erschien ihm gegen die drohende „Polonisierung“, den Ersatz deutscher Landarbeiter/-innen durch Saisonarbeiter/- innen polnischer und sonstiger slawischer Herkunft, die bäuerliche Ansiedlung als probates Mittel.22 In ähnlicher Weise deuteten Max Sering, Theodor von der Goltz und andere Agrarexperten die ungleiche Landverteilung in den ostelbischen Agrarregionen als wesentliche Triebkraft der Abwanderung vom Land  – und die Verbäuerlichung der Grundbesitzverhältnisse als Problemlösung.23
back to the  book Schlachtfelder - Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945"
Schlachtfelder Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
Title
Schlachtfelder
Subtitle
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Author
Ernst Langthaler
Publisher
Böhlau Verlag
Location
Wien
Date
2016
Language
German
License
CC BY-NC 3.0
ISBN
978-3-205-20065-9
Size
15.5 x 23.5 cm
Pages
948
Categories
Geschichte Nach 1918

Table of contents

  1. Vorwort 9
  2. 1. Akteure in Agrarsystemen 11
  3. Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
    1. 1.1 Von (Re-)Aktionsmustern zu Interaktionsfeldern 11
    2. 1.2 Agrarsysteme und Landwirtschaftsstile im Kräftefeld 16
    3. 1.3 Instrumente der Feldvermessung 26
  4. 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
  5. Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
    1. 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
    2. 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
    3. 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
    4. 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
    5. 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
    6. 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
    7. 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
    8. 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
    9. 2.9 Zusammenfassung 149
  6. 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
  7. Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
    1. 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
    2. 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
    3. 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
    4. 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
    5. 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
    6. 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
    7. 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
    8. 3.8 Zusammenfassung 253
  8. 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
  9. Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
    1. 4.1 Die Steuerung der „Landflucht“ 257
    2. 4.2 Die Steuerung des „Reichseinsatzes“ 277
    3. 4.3 Arbeit als alltägliches Kräftefeld 298
    4. 4.4 Gerechter Lohn oder Ausbeutung ? 322
    5. 4.5 „Menschenökonomie“ vor Ort 347
    6. 4.6 Zusammenfassung 371
  10. 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
  11. Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
    1. 5.1 „Bauerntum“ und Technik – (k)ein Widerspruch ? 375
    2. 5.2 „Bauernstolz“ oder Klientenmentalität ? 385
    3. 5.3 Staatshilfe als „Auslese“ 404
    4. 5.4 „Aufrüstung“ in den Bergen 436
    5. 5.5 Kapitaleinsatz vor Ort 472
    6. 5.6 Zusammenfassung 494
  12. 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
  13. Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
    1. 6.1 Das agronomische Expertensystem 497
    2. 6.2 Vordenker des „Aufbaus“ 506
    3. 6.3 Bindeglied zwischen Führung und „Landvolk“ ? 518
    4. 6.4 Wirtschaftsberatung vor Ort 534
    5. 6.5 Die imaginierte „Volksgemeinschaft“ 543
    6. 6.6 Zusammenfassung 566
  14. 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
  15. Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
    1. 7.1 Der Markt und seine (Un-)Ordnung 570
    2. 7.2 Lange Schatten, kurzer Prozess 585
    3. 7.3 Öffentliche Bewirtschaftung, privates Wirtschaften 593
    4. 7.4 Die verlorene „Erzeugungsschlacht“ ? 620
    5. 7.5 „Kriegserzeugungsschlacht“ vor Ort 642
    6. 7.6 Vom Wert der Landarbeit 669
    7. 7.7 Zusammenfassung 695
  16. 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
  17. Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
    1. 8.1 Jenseits von Traditionalität und Modernität 699
    2. 8.2 Großbritannien und die Ostmark im Krieg 709
    3. 8.3 Österreich zwischen Krise und Boom 726
    4. 8.4 Versuchsstation des völkischen Produktivismus 742
  18. Anmerkungen 755
  19. Tabellenanhang 824
  20. Farbabbildungsanhang 849
  21. Quellen- und Literaturverzeichnis 865
  22. Abkürzungsverzeichnis 918
  23. Tabellenverzeichnis 920
  24. Abbildungsverzeichnis 927
  25. Personenregister 933
  26. Ortsregister 934
  27. Sachregister 937
Web-Books
Library
Privacy
Imprint
Austria-Forum
Austria-Forum
Web-Books
Schlachtfelder