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Arbeit als alltägliches Kräftefeld
Arbeitskräfte auf dem Gut beschäftigt.200 Der Beschäftigtenstand des Betriebes
war von Jahr zu Jahr gewachsen : 1941 registrierte die von der Kreisbauernschaft
Gän sern dorf geführte Hofkarte 16 männliche und sechs weibliche ständige Ar-
beitskräfte ; ein Jahr später waren es bereits 30 Männer, darunter 19 Kriegsgefan-
gene, und acht Frauen. 1941 wurden von nichtständigen Arbeitskräften 7.150 Tage
geleistet ; ein Jahr später belief sich diese Zahl auf 5.800. Die Umverteilung von
nichtständigen zu ständigen Arbeitskräften hing mit der Verlagerung des Produk-
tionsschwerpunktes des erzbischöflichen Gutes zusammen. Dies betraf einerseits
die Nutzung des Ackerlandes : Auf der 412 Hektar großen Gesamtfläche des Be-
triebes nahm 1941 bis 1944 das Ackerland von 359 auf 392 Hektar zu. Während
dieses Zeitraums wuchsen die Getreidefläche, vor allem die Hafer- und Gersteflä-
chen, von 165 auf 205 Hektar, die Futterfläche von 14 auf 44 Hektar, die Fläche für
Hülsenfrüchte auf 35 Hektar und die Gartenbaufläche auf neun Hektar ; dagegen
nahmen die Hackfruchtfläche von 155 auf 86 Hektar und die Fläche für Handels-
gewächse von 17 auf neun Hektar ab. Andererseits wurde der Viehstand erheblich
ausgeweitet : 1941 bis 1943 nahm zwar die Zahl der Pferde von zwölf auf sieben ab ;
hingegen wuchsen die Zahlen der Schweine auf 46 und die Rinderzahlen von 4 auf
131. Neben dem Ersatz von Pferden durch 24 Zugochsen beruhte die Veränderung
des Rinderbesatzes vor allem auf der Zunahme der Milchkühe auf 98 Stück. Kurz,
die Gutsverwaltung Obersiebenbrunn verlagerte ihren Produktionsschwerpunkt
zunehmend auf Feldfutter- und Futtergetreidebau sowie Milch- und Mastvieh-
haltung ; dies erhöhte den Bedarf an ständigen Arbeitskräften, der offenkundig
überwiegend durch Kriegsgefangene und „Ostarbeiter“ gedeckt wurde – eine auf
Zwangsarbeit basierende Betriebsintensivierung.201
Dimitrij Filippovich Nelen berichtet von rund 50 Arbeitskräften aus der Sow-
jetunion, Polen und Italien sowie von einheimischen Frauen, die im Gutsbetrieb
beschäftigt waren ;202 das deckt sich einigermaßen mit den statistischen Aufzeich-
nungen. Der Verwalter des erzbischöflichen Gutes Obersiebenbrunn führte, wie
er erzählt, die Belegschaft mit harter Hand. Viel Arbeit und wenig Lohn – so
resümiert der ehemaliger „Ostarbeiter“ seine Zeit am erzbischöflichen Gut. Außer
unzureichender Verpflegung und vergitterter Unterkünfte habe es keine Gegen-
leistung für die Arbeit gegeben :
„Wer sollte uns denn bezahlen, mein Gott. Wer hätte uns bezahlt und wofür, für trübe
Brühe haben wir das gemacht. Die Arbeit war doch sehr billig, und für sie bedeutete
es, wir haben billige Produktion erzeugt. Da haben wir gedroschen, Rüben angebaut,
Vieh gepflegt und auch andere Aufgaben erledigt. Also hatten sie schon billige Pro-
duktion.“203
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Schlachtfelder
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Schlachtfelder
- Subtitle
- Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
- Author
- Ernst Langthaler
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20065-9
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 948
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorwort 9
- 1. Akteure in Agrarsystemen 11
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
- 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
- Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
- 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
- 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
- 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
- 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
- 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
- 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
- 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
- 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
- 2.9 Zusammenfassung 149
- 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
- Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
- 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
- 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
- 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
- 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
- 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
- 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
- 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
- 3.8 Zusammenfassung 253
- 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
- Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
- 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
- Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
- 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
- Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
- 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
- Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
- 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
- Anmerkungen 755
- Tabellenanhang 824
- Farbabbildungsanhang 849
- Quellen- und Literaturverzeichnis 865
- Abkürzungsverzeichnis 918
- Tabellenverzeichnis 920
- Abbildungsverzeichnis 927
- Personenregister 933
- Ortsregister 934
- Sachregister 937