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Nach 1918
Schlachtfelder - Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
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333Gerechter Lohn oder Ausbeutung ? nes bat, wurde eine Schuldumkehr inszeniert : Der Dienstgeber erschien nicht als jener, der Sergej Zakharovich Ragulin und seiner Mutter den Lohn schuldig blieb, sondern als großzügiger Patron, dem sie Dankbarkeit schuldeten. Besonders deut- lich äußerte sich dies bei der Vorsprache der Mutter wegen eines höheren Geldbe- trages, um dem Sohn einen Anzug zu kaufen : „Ja, aber die Mutter ist zum Bauern gegangen, hat ihn gebeten, und er hat ihr ohne weiteres Reden 150 Mark gegeben. Ja, wir haben schon zwei Jahre gearbeitet, zwei Jahre, wenn man jedes zu sechzig Mark pro Jahr nimmt, hundertzwanzig, mal zwei hundertzwanzig, zwei Jahre, sind das schon zweihundertvierzig. Deswegen, mehr, ja, ich habe so fünf Mal oder zwei Mal ihn um fünf oder zehn Mark gebeten, nicht mehr.“275 Obwohl der Warencharakter dieses Tausches zwar kurz reflektiert wird, überwiegt in der heutigen Erzählung und wohl auch im damaligen Leben der Gabencharak- ter. „Ohne weiteres Reden“ habe der Bauer der Mutter 150 Reichsmark gegeben ; dabei waren für die beiden Arbeitskräfte nach zwei Jahren bereits hunderte Reichs- mark an ausständigen Lohnzahlungen aufgelaufen. Wenn die Dienstgeber/-innen den Lohn nicht zur Gänze oder zum Teil ein- behielten, so konnten die Lohnempfänger/-innen über die ausgezahlten Beträge dennoch nicht frei verfügen. Kriegsgefangene konnten den in Lagergeld ausbe- zahlten Lohn ohnehin nur in einigen dafür vorgesehenen Geschäften oder mit zehnfachem Wertverlust auf dem Schwarzmarkt verausgaben. „Ungarische Juden“ bekamen vom fiktiven Lohn in der Regel keinen Pfennig zu Gesicht. Doch auch die Zivilarbeiter/-innen in der Land- und Forstwirtschaft konnten ihre Löhne kaum legal verausgaben, weil sie als Angehörige einer „Selbstversorgergemein- schaft“ in der Regel keine Bezugsmarken erhielten ; zudem entwerteten die über- höhten Preise auf dem Schwarzmarkt die Kaufkraft ihrer Löhne.276 Für viele von ihnen stellte sich das Problem, die Ersparnisse während des Krieges für die Zeit danach sicher aufzubewahren. Jene Landarbeiter/-innen, die größere Geldbeträge bei sich trugen, liefen Gefahr, durch Diebstahl um ihren Lohn gebracht zu werden. Der polnische Landarbeiter Josef Galemba, dem im Mai 1941 ein Handkoffer mit 70 Reichsmark aus seiner Schlafkammer in einem Bauernhof in Traisen ent- wendet wurde, ist nur ein Fall unter vielen.277 Um die Gefahr eines Diebstahls zu vermeiden, standen zwei legale Möglichkeiten zur Verfügung : der Lohntransfer in das Herkunftsland und die Einrichtung eines Sparkontos im Deutschen Reich. Beide Möglichkeiten waren für die ausländischen Lohnbezieher/-innen und deren Heimatländer, vor allem für „Polen“ und „Ostarbeiter“, mit erheblichen Einbußen verbunden, von denen die Staatskasse des Deutschen Reiches profitierte.278
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Schlachtfelder Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
Title
Schlachtfelder
Subtitle
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Author
Ernst Langthaler
Publisher
Böhlau Verlag
Location
Wien
Date
2016
Language
German
License
CC BY-NC 3.0
ISBN
978-3-205-20065-9
Size
15.5 x 23.5 cm
Pages
948
Categories
Geschichte Nach 1918

Table of contents

  1. Vorwort 9
  2. 1. Akteure in Agrarsystemen 11
  3. Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
    1. 1.1 Von (Re-)Aktionsmustern zu Interaktionsfeldern 11
    2. 1.2 Agrarsysteme und Landwirtschaftsstile im Kräftefeld 16
    3. 1.3 Instrumente der Feldvermessung 26
  4. 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
  5. Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
    1. 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
    2. 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
    3. 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
    4. 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
    5. 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
    6. 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
    7. 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
    8. 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
    9. 2.9 Zusammenfassung 149
  6. 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
  7. Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
    1. 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
    2. 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
    3. 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
    4. 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
    5. 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
    6. 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
    7. 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
    8. 3.8 Zusammenfassung 253
  8. 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
  9. Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
    1. 4.1 Die Steuerung der „Landflucht“ 257
    2. 4.2 Die Steuerung des „Reichseinsatzes“ 277
    3. 4.3 Arbeit als alltägliches Kräftefeld 298
    4. 4.4 Gerechter Lohn oder Ausbeutung ? 322
    5. 4.5 „Menschenökonomie“ vor Ort 347
    6. 4.6 Zusammenfassung 371
  10. 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
  11. Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
    1. 5.1 „Bauerntum“ und Technik – (k)ein Widerspruch ? 375
    2. 5.2 „Bauernstolz“ oder Klientenmentalität ? 385
    3. 5.3 Staatshilfe als „Auslese“ 404
    4. 5.4 „Aufrüstung“ in den Bergen 436
    5. 5.5 Kapitaleinsatz vor Ort 472
    6. 5.6 Zusammenfassung 494
  12. 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
  13. Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
    1. 6.1 Das agronomische Expertensystem 497
    2. 6.2 Vordenker des „Aufbaus“ 506
    3. 6.3 Bindeglied zwischen Führung und „Landvolk“ ? 518
    4. 6.4 Wirtschaftsberatung vor Ort 534
    5. 6.5 Die imaginierte „Volksgemeinschaft“ 543
    6. 6.6 Zusammenfassung 566
  14. 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
  15. Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
    1. 7.1 Der Markt und seine (Un-)Ordnung 570
    2. 7.2 Lange Schatten, kurzer Prozess 585
    3. 7.3 Öffentliche Bewirtschaftung, privates Wirtschaften 593
    4. 7.4 Die verlorene „Erzeugungsschlacht“ ? 620
    5. 7.5 „Kriegserzeugungsschlacht“ vor Ort 642
    6. 7.6 Vom Wert der Landarbeit 669
    7. 7.7 Zusammenfassung 695
  16. 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
  17. Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
    1. 8.1 Jenseits von Traditionalität und Modernität 699
    2. 8.2 Großbritannien und die Ostmark im Krieg 709
    3. 8.3 Österreich zwischen Krise und Boom 726
    4. 8.4 Versuchsstation des völkischen Produktivismus 742
  18. Anmerkungen 755
  19. Tabellenanhang 824
  20. Farbabbildungsanhang 849
  21. Quellen- und Literaturverzeichnis 865
  22. Abkürzungsverzeichnis 918
  23. Tabellenverzeichnis 920
  24. Abbildungsverzeichnis 927
  25. Personenregister 933
  26. Ortsregister 934
  27. Sachregister 937
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