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358 „Menschenökonomie“ unter Zwang
könnte auch ein Fremder schaffen. Aber es geht um das Regiment. Der Bauer allein, das
gilt seit altersher, führt das Regiment auf dem Hofe. Die Bäuerin hält das Haus. Da
nun aber viele Höfe im Dorfe ohne das feste Regiment des Bauern sind, muß die Bäu-
erin statt des Bauern schaffen, so gut sie es vermag. Doch was sie im Regiment schafft,
muß sie von ihrem eigenen Tagwerk nehmen, oder von den Kindern, die ganz ihre Mut-
ter wollen. Das ist oft schwer, auch wenn nach außenhin wenig davon zu spüren ist.
Aber der Bauer, der auf Urlaub kommt, merkt wohl, daß vieles auf der Bäuerin liegt,
das sonst nicht in ihrem Wesen ist und das sie anders macht, strenger, härter als sonst.
Gesegnet sei die Stunde, da der Bauer wieder zu seinem Hofe kommt und die Bäuerin
nur dem Hause gehört, für das sie geschaffen ist ! [Hervorhebungen im Original]“343
Der Autor bewertet das kriegsbedingte Einspringen der Frauen für die Männer
von einer scheinbar ‚natürlichen‘ Arbeitsteilung her : Der Mann führt den Hof,
die Frau hält das Haus. Werde der Mann zu den Waffen gerufen, übernehme die
Frau – dieser Logik folgend – nicht die Führung, sondert dehne die Haushaltung
zeitlich befristet auf den ganzen Hof aus, wie es „das Gesetz, das immer in solchen
Jahren über dem Dorfe steht“, wolle : „Krieg führen die Männer, die Frauen halten
den Hof.“344 Diese patriarchalische, biologistisch legitimierte Geschlechterord-
nung leitete die staatlichen Maßnahmen zur Entlastung der „Landfrauen“ und der
weiblichen Landjugendlichen an : Die Beratungsseiten für Bäuerinnen im Wochen-
blatt appellierten an den „sparsamen“ Umgang mit den Vorräten, die „rationelle“
Abfolge der Arbeitsschritte, die „geschmackvolle“ Ausgestaltung des bäuerlichen
Heimes.345 Auch die schulischen Anstrengungen zur Professionalisierung der land-
wirtschaftlichen Frauenarbeit hielten an der überkommenen Arbeitsteilung fest.346
Schließlich stellte die 1943 eingeführte „Hofpatenschaft“, bei der ein männlicher
Betriebsleiter aus der Nachbarschaft die Aufsicht über die Wirtschaftsführung auf
einem Hof unter weiblicher Leitung übernahm, die patriarchalische Geschlechter-
ordnung wieder her. Zwar wurde der „Hofpate“ im Wochenblatt als „Helfer“ apo-
strophiert ;347 doch Betriebe ohne männlich besetzte Leitungsfunktion galten als
„verwaist“ – und bedurften daher, ohne dass dies ausgesprochen werden musste,
eines ‚Vormundes‘.348 Eine Ausweitung erfuhr der organisierte Paternalismus 1944
durch die vom „Ortsdreieck“, bestehend aus Bürgermeister, NSDAP-Ortsgrup-
penleiter und Ortsbauernführer, koordinierten „Kriegs-Höfegemeinschaften“, die
mehrere „führerlose“ Betriebe unter Leitung eines „tüchtige[n] Bauer[n] oder
Landwirt[s]“ zusammenfassten – eine „reine Kriegsmaßnahme, die in erster Linie
unseren schwer überlasteten Bäuerinnen, nicht zuletzt aber auch der Allgemeinheit
zugute kommen wird“.349 Letztlich oblag es den Frauen auf den Höfen, mit der
Kluft zwischen offiziellen Entlastungsmaßnahmen und alltäglichen Belastungen
zurande zu kommen.350
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Schlachtfelder
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Schlachtfelder
- Subtitle
- Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
- Author
- Ernst Langthaler
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20065-9
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 948
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorwort 9
- 1. Akteure in Agrarsystemen 11
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
- 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
- Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
- 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
- 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
- 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
- 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
- 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
- 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
- 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
- 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
- 2.9 Zusammenfassung 149
- 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
- Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
- 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
- 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
- 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
- 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
- 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
- 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
- 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
- 3.8 Zusammenfassung 253
- 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
- Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
- 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
- Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
- 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
- Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
- 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
- Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
- 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
- Anmerkungen 755
- Tabellenanhang 824
- Farbabbildungsanhang 849
- Quellen- und Literaturverzeichnis 865
- Abkürzungsverzeichnis 918
- Tabellenverzeichnis 920
- Abbildungsverzeichnis 927
- Personenregister 933
- Ortsregister 934
- Sachregister 937