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373Zusammenfassung
„gemeinsam arbeiten
– gemeinsam essen“ folgte, förderte den Einschluss der recht-
lich Ausgeschlossenen in die „Hofgemeinschaft“ und gewährleistete so deren Ar-
beitsmotivation und -kontrolle. Doch die Möglichkeiten, sich bessere Arbeits- und
Lebensbedingungen zu ‚erarbeiten‘, waren nicht nur begrenzt, sondern auch un-
gleich verteilt : „Ungarische Juden“, IMI, sowjetische Kriegsgefangene und anfangs
auch „Ostarbeiter“ standen überwiegend oder ausschließlich im Kolonneneinsatz
und in Lagerunterkunft. Häufig wechselnde Einsatzorte und, dadurch bedingt,
flüchtige bis fehlende Kontakte mit den häufig als gesichtslos wahrgenommenen
Vorgesetzten schlossen individuelles Hocharbeiten weitgehend aus. Das erzwun-
gene Kollektiv der Familie, Landsleute oder Arbeits- und Lagerkollegen vermochte
die Repression durch Vorgesetzte, etwa durch Minderung des Arbeitstempos, bis
zu einem gewissen Grad einzudämmen.
Die Vorstellung einer zentral gesteuerten „Menschenökonomie“, die für die
Funktionseliten der Arbeitseinsatzverwaltung Sinn stiftete, hatte mit der All-
tagspraxis auf den Höfen wenig gemein. Anstelle einer einheitlichen, zentral ge-
steuerten Maschinerie zeigt der landwirtschaftliche „Arbeitseinsatz“ vielfältige, vor
Ort adaptierte Machtmechanismen. Die vielfältigen Arrangements zwischen den
Imperativen des „Arbeitseinsatzes“ und den praktischen Anforderungen zeigten
im Alltag eine enorme Streuung. Die Akteure auf den Höfen eigneten sich den
Widerspruch zwischen dem Einschluss der ausländischen Arbeitskräfte in die Be-
triebe und deren Ausschluss aus den Haushalten in je eigener Art an. Während diese
Spannung mit Kolonneneinsatz und Lagerunterkunft in Groß- und Gutsbetrieben
weitgehend vereinbar war, trat dieser Widerspruch am Einzeleinsatz in Klein- und
Mittelbetrieben offen zutage. Die Menschen vor Ort waren gefordert, zwischen
amtlichen Regulativen und alltäglichen Erfordernissen zu balancieren. Der viel-
fach zu beobachtende Vorrang der Pragmatik alltäglichen Wirtschaftens vor der
Ideologie der ‚Rassentrennung‘ war – jenseits der Intentionen der Akteure – bis
Kriegsende funktional für den landwirtschaftlichen „Arbeitseinsatz“. Dies konnte
durch normkonformes Verhalten geschehen ; dies konnte aber auch, im Gegenteil,
durch die Abweichung von der Norm erfolgen. Was die mit dem „Arbeitseinsatz“
befassten Ordnungshüter in ihren Stimmungs- und Lageberichten häufig beklag-
ten, war zugleich Bedingung und Folge der Ordnung, die sie hüteten.
Der „Arbeitseinsatz“ prägte nicht allein die Alltagswelt der ausländischen Ar-
beitskräfte ; nahezu alle ländlichen Arbeitsbeziehungen waren davon direkt oder
indirekt betroffen. Dabei zeigten sich Unterschiede nach (unter-)bäuerlichen Ag-
rarsystemen : Großflächige, hoch technisierte und stark kommerzialisierte Betriebe
wie die Zuckerrübenbauern wurden in der Regel besser mit Arbeitskräften versorgt
als landarme, wenig technisierte und mehr auf Selbstversorgung ausgerichtete
Betriebe ; eine Ausnahme bildeten die Maschinenmänner, die – vermutlich wegen
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Schlachtfelder
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Schlachtfelder
- Subtitle
- Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
- Author
- Ernst Langthaler
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20065-9
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 948
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorwort 9
- 1. Akteure in Agrarsystemen 11
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
- 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
- Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
- 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
- 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
- 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
- 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
- 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
- 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
- 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
- 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
- 2.9 Zusammenfassung 149
- 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
- Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
- 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
- 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
- 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
- 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
- 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
- 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
- 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
- 3.8 Zusammenfassung 253
- 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
- Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
- 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
- Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
- 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
- Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
- 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
- Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
- 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
- Anmerkungen 755
- Tabellenanhang 824
- Farbabbildungsanhang 849
- Quellen- und Literaturverzeichnis 865
- Abkürzungsverzeichnis 918
- Tabellenverzeichnis 920
- Abbildungsverzeichnis 927
- Personenregister 933
- Ortsregister 934
- Sachregister 937