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379„Bauerntum“
und Technik – (k)ein Widerspruch ?
gels einer berücksichtigungswürdigen Inlandsfabrikation18 bald nach dem „An-
schluss“ auf das Niveau des „Altreichs“ abgesenkt. Die Ersparnis von durchschnitt-
lich 40 Prozent ließ auch auf diesem Gebiet Verbrauchssteigerungen erwarten.19
Die reichsdeutsche Stickstoffindustrie unter Führung der IG-Farben verleibte sich
in der Ostmark bestehende Produktionsstätten, etwa die Pulverfabrik Skodawerke-
Wetzler AG in Moosbierbaum bei Tulln, ein. Die Gründung der Stickstoffwerke
Ostmark AG in Linz 1939 kam der Landwirtschaft nur mehr beschränkt zugute ;
ein Großteil des Ausstoßes diente der Sprengstofferzeugung.20
Wie lässt sich der Hunger nach mechanisch-technischen und organisch-tech-
nischen Betriebsmitteln in Niederdonau in den Jahren nach 1938 bemessen ? Den
regionalen Technikeinsatz in der Landwirtschaft zahlenmäßig zu fassen, stößt
rasch an die Grenzen der Datenlage. Für die Menge der Landmaschinen existie-
ren nur die Erhebungen des Betriebszählung vom Mai 1939 – zu einer Zeit, als
der Landmaschinenboom den Expertenaussagen nach noch voll im Gang war ; als
Notbehelf bieten sich Vergleiche mit der Betriebszählung 1930 und der Landma-
schinenzählung 1946 an. Dabei hebt sich die moderate Zunahme in den 1930er
Jahren vom rasanten Anstieg in den frühen 1940er Jahren ab (Tabelle 5.1) : Zu-
wächse auf das Vier- bis Sechsfache während der Kriegsjahre verzeichneten die
Zahlen der Traktoren, Bindemäher und Kartoffelerntemaschinen. Die gesamte
PS-Leistung der Kraftmaschinen, die 1939 nur eineinhalb Mal höher als 1930
lag, kletterte bis 1946 auf das Dreifache. Die PS-Zahl je 1.000 Hektar Nutzfläche
stieg 1939 bis 1946 von 139 auf 255, je Betrieb von 1,3 auf 2,4. Zwar erscheint
die Einschätzung Meisels von 1941, wonach die „Landmaschinenaufnahme in der
Ostmark heute etwa 15 mal so hoch ist wie in der Zeit vor dem Anschluß“,21
überzogen. Doch selbst Rudolf Sandner, der für das Maschinenwesen zuständige
Ministerialrat im Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft, stellte 1946
rückblickend fest : „Im Jahre 1938 begann daher [wegen Preisverbilligungen und
Reichsbeihilfen] eine starke Mechanisierung der österreichischen Landwirtschaft,
die noch bis weit in die Zeit des zweiten Weltkrieges hinein anhielt und erst mit
dem Einsetzen des sogenannten totalen Krieges durch die Rohstoffknappheit und
die Einstellung jeder zivilen Erzeugung abgebremst wurde.“22 Es ist anzunehmen,
dass ein Großteil der 1946 registrierten Maschinenbestände – trotz aller Zerstö-
rungen, Requirierungen und Hilfslieferungen vor und nach Kriegsende 1945
– aus
der NS-Ära stammte. Dabei müssen regionale Unterschiede, unter anderem auf-
grund vorhandener oder fehlender Stromversorgung,23 in Rechnung gestellt wer-
den. Freilich ebbte der Landmaschinenboom ab 1942/43 ab. Obwohl vor allem die
Besitzer/-innen größerer und begünstigter Höfe genügend Geld in der Tasche hat-
ten, hemmten mangelnde Betriebsmittel, fehlende Ersatzteile und Lieferengpässe
den Einsatz arbeitssparender Landtechnik.24 Wenn in der Agrarpresse Totaler
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Schlachtfelder
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Schlachtfelder
- Subtitle
- Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
- Author
- Ernst Langthaler
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20065-9
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 948
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorwort 9
- 1. Akteure in Agrarsystemen 11
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
- 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
- Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
- 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
- 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
- 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
- 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
- 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
- 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
- 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
- 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
- 2.9 Zusammenfassung 149
- 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
- Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
- 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
- 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
- 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
- 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
- 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
- 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
- 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
- 3.8 Zusammenfassung 253
- 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
- Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
- 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
- Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
- 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
- Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
- 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
- Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
- 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
- Anmerkungen 755
- Tabellenanhang 824
- Farbabbildungsanhang 849
- Quellen- und Literaturverzeichnis 865
- Abkürzungsverzeichnis 918
- Tabellenverzeichnis 920
- Abbildungsverzeichnis 927
- Personenregister 933
- Ortsregister 934
- Sachregister 937