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415Staatshilfe
als „Auslese“
die Landstellen „freiwillige“ Nachlässe – etwa durch die Drohung, die Forderung
eines Gläubigers festzuschreiben – erwirken.124 In welcher Weise diese Instru-
mente Fall für Fall zum Einsatz kamen, wurde im Entschuldungsplan festgelegt.
Im Unterschied zum „Altreich“ wurde den Landstellen in der Ostmark dabei ein
erheblicher Ermessensspielraum eingeräumt, um eine „schnellere und einfachere
Entschuldung zu ermöglichen“.125 Nach Bestätigung des Entschuldungsplans
waren die Betriebe nur mehr mit langfristigen, grundbücherlich sichergestellten
Forderungen belastet : den festgeschriebenen Forderungen von Kreditinstituten,
Behörden und sonstigen Gläubigern sowie der Entschuldungsrente und, gege-
benenfalls, dem Aufbaudarlehen des Deutschen Reiches. Die Verzinsung und
Tilgung all dieser Forderungen schöpfte die ermittelte „Leistungsfähigkeit“ der
Entschuldungsbetriebe meist voll aus ; größere Investitionen bedurften von nun
an der Genehmigung der Landstelle.126
Wie die Landstelle Wien ihren Ermessensspielraum bei der Aufstellung der
Entschuldungspläne ausschöpfte, zeigt etwa die Deckung der einzelnen Schul-
denarten in den Untersuchungsgemeinden (Tabelle 5.9). Privatdarlehen wurden
in Auersthal zu mehr als der Hälfte, in Frankenfels zu gut einem Viertel fest-
geschrieben ; hingegen erfolgten in Heidenreichstein und St. Leonhard am Forst
vollständige Ablösungen, wodurch die Gläubiger vergleichsweise hohe Nachlässe
gewährten – oder gewähren mussten. Darlehen von Kreditinstituten wurden in
allen Gemeinden fast zur Gänze festgeschrieben und nur zum geringen Teil abge-
löst. Lohn-, Gehalts-, Handwerker- und Lieferantenforderungen wurden ebenso
wie Kleinforderungen bis 100 Reichsmark – „aus sozialen Gründen“ durchwegs
in bar127 – abgelöst ; ebenso wurden Arzt-, Notar- und sonstige Honorare durch
Ablösungen gedeckt. Mit der Ablösung von Erbteilsforderungen, die in Auersthal
zur Gänze, in Frankenfels zu zwei Dritteln und in St. Leonhard am Forst zu gut
der Hälfte erfolgten, wurden auch die finanziellen Abhängigkeiten zwischen über-
nehmenden und weichenden Erben und Erbinnen abgelöst. Bei Restkaufgeldern
konnten die Sachbearbeiter der Landstelle in Auersthal und Frankenfels Nach-
lässe in der Höhe eines Viertels erzielen. Während hier sowie in Heidenreichstein
überwiegend Ablösungen stattfanden, wurden die Restkaufgelder in St. Leonhard
am Forst zu drei Vierteln festgeschrieben. Steuerschulden, die meist aus der Zeit
vor dem „Anschluss“ stammten, wurden den Entschuldungsbetrieben in Abspra-
che mit der Finanzverwaltung128 zur Gänze oder großteils erlassen ; nennenswerte
Festschreibungen fanden nur in Frankenfels statt. Sonstige Schulden wurden zu
einem geringen Teil nachgelassen und überwiegend abgelöst.
Die Ermessensentscheidungen der Landstelle zwischen der Festschreibung und
Ablösung einer Forderung hingen nicht nur von den gesetzlichen Bestimmungen,
sondern auch von der Ertragskapazität des jeweiligen Agrarsystems ab. Demgemäß
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Schlachtfelder
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Schlachtfelder
- Subtitle
- Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
- Author
- Ernst Langthaler
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20065-9
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 948
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorwort 9
- 1. Akteure in Agrarsystemen 11
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
- 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
- Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
- 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
- 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
- 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
- 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
- 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
- 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
- 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
- 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
- 2.9 Zusammenfassung 149
- 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
- Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
- 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
- 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
- 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
- 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
- 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
- 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
- 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
- 3.8 Zusammenfassung 253
- 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
- Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
- 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
- Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
- 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
- Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
- 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
- Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
- 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
- Anmerkungen 755
- Tabellenanhang 824
- Farbabbildungsanhang 849
- Quellen- und Literaturverzeichnis 865
- Abkürzungsverzeichnis 918
- Tabellenverzeichnis 920
- Abbildungsverzeichnis 927
- Personenregister 933
- Ortsregister 934
- Sachregister 937