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417Staatshilfe
als „Auslese“
Was de jure als Verfahrensfehler galt, ließ sich de facto als Beitrag zur „Erhaltung
eines gesunden und leistungsfähigen Bauernstandes“130 rechtfertigen.
„Entschuldung“ und „Aufbau“ hingen nicht nur in solchen Ausnahmefällen,
sondern auch in der Regel eng zusammen : Das Entschuldungsverfahren sollte
die Betriebe dazu befähigen, die Aufbaumittel abzustatten ; das Aufbauverfahren
sollte die betriebliche „Leistungsfähigkeit“, an der die Entschuldungsmittel be-
messen wurden, steigern. Während das eine Verfahren die „äußere Verschuldung“
der Höfe zu mildern trachtete, zielte das andere auf die Behebung der „inneren
Verschuldung“ ; oder mit August Lombar gesprochen : „Die Betriebe waren nicht
nur verschuldet, sondern auch ausgeplündert.“131 Die Landstellen prüften, ob die
sachlichen und persönlichen Voraussetzungen zum „Aufbau“ gegeben waren ; diese
umfassten, ähnlich wie bei der „Entschuldung“, die Bedürftigkeit
– die Gefährdung
des Bestandes oder die mangelnde Ausschöpfung der Ertragskraft des Betriebes
–,
die Fähigkeit – die Aussicht auf Steigerung der „Leistungsfähigkeit“ – und die
Würdigkeit – die Persönlichkeit und Wirtschaftsweise der Inhaber/-innen.132 Die
Aufbaumaßnahmen erstreckten sich auf Um- und Neubauten von Wohn- und
Wirtschaftsgebäuden, Ergänzungen des lebenden und toten Inventars und sons-
tige Maßnahmen zur Hebung der betrieblichen Ertragskraft. Die dafür notwen-
digen Mittel wurden grundsätzlich als Darlehen, bei Erschöpfung der „Leistungs-
fähigkeit“ auch als nicht rückzahlbarer Zuschuss gegeben ; Bergbauernbetriebe
sollten jedoch vorrangig bezuschusst werden. Die grundbücherlich sichergestellten
Aufbaudarlehen wurden mit 2 Prozent verzinst und liefen zwischen fünf und 30
Jahren. Art und Kosten der Maßnahmen wurden im Aufbauplan, der meist mit
einem Entschuldungsplan gekoppelt war, festgelegt.133 Neben der Aufbauaktion
setzten die Landstellen die von der österreichischen Bundesregierung 1934 begon-
nene Bergbauernhilfe in erweitertem Maßstab fort ; diese Mittel wurden vorrangig
als Zuschuss, falls zumutbar auch als Darlehen bewilligt.134
Gemessen am aufgewendeten Geldvolumen stand der „Aufbau“ der „Entschul-
dung“ in nichts nach (Tabelle 5.10). Die meisten Ablösungsmittel pro Betrieb
wurden im AGB Mank vergeben ; bei den Entschuldungsmitteln lag Matzen an
der Spitze. Das Größenverhältnis von Entschuldungs- und Aufbaumitteln vari-
ierte nach Regionen : In den AGB Kirchberg an der Pielach, Litschau und Matzen
wurden mehr Aufbau- als Entschuldungsmittel eingesetzt ; in Mank war das Ver-
hältnis umgekehrt. Der Mitteleinsatz variierte zudem innerhalb der Regionen nach
Betriebsgrößen : Im Allgemeinen nahmen die pro Flächeneinheit eingesetzten
Ablösungs- und Aufbaumittel mit steigernder Betriebsgröße ab ; einen Sonderfall
bildeten in der Region Matzen die flächenbezogenen Aufbaumittel der größeren
Betriebe, die etwa jenen der kleineren Betriebe entsprachen. Dennoch nahm der
gesamte Mitteleinsatz pro Betrieb mit steigender Größe durchwegs zu ; nur in der
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Schlachtfelder
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Schlachtfelder
- Subtitle
- Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
- Author
- Ernst Langthaler
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20065-9
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 948
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorwort 9
- 1. Akteure in Agrarsystemen 11
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
- 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
- Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
- 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
- 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
- 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
- 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
- 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
- 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
- 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
- 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
- 2.9 Zusammenfassung 149
- 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
- Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
- 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
- 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
- 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
- 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
- 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
- 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
- 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
- 3.8 Zusammenfassung 253
- 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
- Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
- 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
- Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
- 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
- Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
- 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
- Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
- 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
- Anmerkungen 755
- Tabellenanhang 824
- Farbabbildungsanhang 849
- Quellen- und Literaturverzeichnis 865
- Abkürzungsverzeichnis 918
- Tabellenverzeichnis 920
- Abbildungsverzeichnis 927
- Personenregister 933
- Ortsregister 934
- Sachregister 937