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421Staatshilfe
als „Auslese“
Zwar war hier nicht von Effizienz und Gleichheit die Rede ; doch die Wendungen
„wirtschaftliche Erwägungen“ und „besondere Ziele“ verwiesen darauf. Die beiden
Zielbereiche waren hierarchisch aufeinander bezogen : Effizienzsteigerung galt als
Regel, Ausgleich als Ausnahme ; zugleich ergänzten sie sich im Nebeneinander von
Kern- und Grenzregionen. Wie die Landstellen diese Richtlinie in der Verwal-
tungspraxis umsetzten, erläutert August Lombar an einem Beispiel :
„Die Frage, ob der Mitteleinsatz vertretbar war, spielte namentlich bei den baulichen
Maßnahmen eine wichtige Rolle. In vielen Fällen, vor allem bei nichtlebensfähigen
Kleinbetrieben, oder solchen, die später aufgelassen und zur Stärkung der Nachbar-
höfe herangezogen werden sollten, wo also der mit einem großen Mittelaufwand ver-
bundene Neubau der Hofstelle aus agrarpolitischen Gründen nicht vertretbar war,
musste die Ablehnung ausgesprochen werden.“141
In dieser Erläuterung spricht der ehemalige Leiter der Landstelle agrarpolitischen
Klartext : Als Auslesekriterium der Aufbauaktion galt die betriebliche „Lebensfä-
higkeit“, was als Chiffre für „Leistungsfähigkeit“ gelesen werden kann. Kleinere
Betriebe, denen diese Eigenschaft nicht zuerkannt wurde, wurden von der För-
derung ausgeschlossen oder, falls keine Ablehnung erfolgte, mit weniger Aufbau-
mitteln bedacht. Größere, „lebensfähige“ Betriebe sollten hingegen in die Aktion
eingeschlossen und mit allen Mitteln gefördert – „aufgebaut“ – werden. Mit ihrer
kleinbäuerlichen Prägung wurde die Region Matzen zum bevorzugten Schau-
platz der leistungsorientierten Auslese. In der mittelbäuerlich geprägten Region
Kirchberg an der Pielach griff dieser ökonomistische Zugang kaum ; hier, im Berg-
bauerngebiet, wurde die Leistung der Betriebe und Haushalte eher an außeröko-
nomischen Gesichtspunkten
– an den „bevölkerungs- und grenzpolitischen Erwä-
gungen“, von denen in den Aufbaurichtlinien die Rede war
– festgemacht. Kurz, in
den Untersuchungsregionen werden zwei Varianten des „Betriebsaufbaus“ – eine
eher differenzierende und eine eher egalisierende – fassbar.
Werfen wir einen genaueren Blick auf die regionalen Varianten des „Aufbaus“.
Hinsichtlich der getroffenen Maßnahmen zeigen die Regionen kaum Unterschiede :
Etwa drei Viertel der Aufbaumittel flossen in Baumaßnahmen ; ein Zehntel oder
mehr war der Ergänzung „toten Inventars“, der Anschaffung von Maschinen und
Geräten, gewidmet ; ein weiteres Zehntel – in Mank deutlich mehr, in Litschau
erheblich weniger – entfiel auf die Ergänzung „lebenden Inventars“, den Ankauf
von Zug- oder Nutzvieh ; der Rest war Umstellungs- und sonstigen Maßnahmen
vorbehalten (Tabelle 5.11). Der Aufbauplan für Leopold Leitner in Frankenfels
zielte gemäß der für die Gesamtheit der Aufbaubetriebe charakteristischen Vertei-
lung vor allem auf Baumaßnahmen ab : Für Stallbau, Dachreparatur, Düngerstätte
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Schlachtfelder
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Schlachtfelder
- Subtitle
- Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
- Author
- Ernst Langthaler
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20065-9
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 948
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorwort 9
- 1. Akteure in Agrarsystemen 11
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
- 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
- Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
- 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
- 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
- 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
- 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
- 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
- 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
- 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
- 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
- 2.9 Zusammenfassung 149
- 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
- Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
- 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
- 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
- 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
- 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
- 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
- 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
- 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
- 3.8 Zusammenfassung 253
- 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
- Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
- 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
- Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
- 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
- Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
- 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
- Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
- 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
- Anmerkungen 755
- Tabellenanhang 824
- Farbabbildungsanhang 849
- Quellen- und Literaturverzeichnis 865
- Abkürzungsverzeichnis 918
- Tabellenverzeichnis 920
- Abbildungsverzeichnis 927
- Personenregister 933
- Ortsregister 934
- Sachregister 937