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439„Aufrüstung“
in den Bergen
ten und Förderungsbedarf – kurz, das gesamte Spektrum an natur- und sozial-
räumlichen Bedingungen – als Unterscheidungsmerkmale beachtet werden. Doch
letztlich gewinnt gegenüber der inneren die äußere Differenzierung zwischen
„Berg-“ und „Talbauern“ das Übergewicht.
Der Artikel diskutiert die Ursachen der Bergbauernproblematik auf zwei Ebe-
nen. Zunächst streicht er die strukturellen Schwächen des bergbäuerlichen Wirt-
schaftens heraus :
„Aus den verschiedenen Grundlagen und infolge der zusätzlichen Erschwernisse, mit
denen der Bauer im Bergland zu rechnen hat, ergeben sich grundlegende Unterschiede
in der Wirtschaftsstruktur einer bergbäuerlichen Wirtschaft und einer solchen im Flachland
[Hervorhebung im Original]. Die Produktion des Bergbauern ist einseitiger und den
beschränkten Möglichkeiten angepaßt, seine Arbeitsleistung ist im Verhältnis zum
wirtschaftlichen Erfolg größer und seine Absatzmöglichkeiten sind infolge der meist
ungünstigen marktfernen Lage und mangels geeigneter Verbindungswege ungleich
geringer als die eines Bauern im Flachlande.“179
Die einseitige Produktpalette – vor allem Vieh, Milch und Holz –, der erhöhte
Aufwand – etwa für Fremdlöhne – und der verminderte Ertrag – großteils durch
Transportkosten
– setzten dem bergbäuerlichen Wirtschaften starre Grenzen ; eine
gewisse Flexibilität schaffe hingegen die Bereitschaft der Bauernfamilie, bei sin-
kendem Einkommen auch den Lebensstandard zu senken – und damit auf ihren
Lohn zu verzichten : „Praktisch wird zur Deckung dieses Lohnanspruches nur der
Rest des Bargeldes verwendet, der (vielleicht !) nach Befriedigung aller anderen
Posten übrigbleibt.“180
Die strukturellen Ursachen der Bergbauernproblematik seien durch den Verfall
der Agrargüterpreise während der Weltwirtschaftskrise als konjunktureller Ursa-
che erheblich verschärft worden. Die Großhandelspreise für Milch, vor allem aber
für Rinder, Schweine und Holz sanken im Lauf der 1930er Jahre weitaus stärker als
die Getreide-, Kartoffel- und Weinpreise – eine Folge der Nachfrageverlagerung
der im Industrie- und Dienstleistungssektor Beschäftigten, deren Kaufkraft durch
Lohnkürzungen und Massenarbeitslosigkeit gesunken war. Daher verzeichneten
die bergbäuerlichen Viehhalter/-innen einen erheblich stärkeren Einnahmenent-
fall als die Ackerwirtschaften im Flach- und Hügelland. Während das Preisgefälle
zwischen Berg- und Flachlandbauern im „Altreich“ bis 1938 wieder eingeebnet
wurde, bestand es in der Ostmark, wenn auch vermindert, weiterhin (Abbildung
5.15). Die bergbäuerliche „Notlage“ sei nicht allein durch die Wirtschaftskrise,
sondern auch durch die verfehlte Krisenbekämpfung der österreichischen Bun-
desregierung prolongiert worden. Weder die Marktordnungsmaßnahmen auf dem
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Schlachtfelder
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Schlachtfelder
- Subtitle
- Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
- Author
- Ernst Langthaler
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20065-9
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 948
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorwort 9
- 1. Akteure in Agrarsystemen 11
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
- 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
- Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
- 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
- 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
- 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
- 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
- 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
- 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
- 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
- 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
- 2.9 Zusammenfassung 149
- 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
- Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
- 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
- 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
- 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
- 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
- 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
- 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
- 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
- 3.8 Zusammenfassung 253
- 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
- Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
- 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
- Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
- 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
- Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
- 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
- Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
- 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
- Anmerkungen 755
- Tabellenanhang 824
- Farbabbildungsanhang 849
- Quellen- und Literaturverzeichnis 865
- Abkürzungsverzeichnis 918
- Tabellenverzeichnis 920
- Abbildungsverzeichnis 927
- Personenregister 933
- Ortsregister 934
- Sachregister 937