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444 Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“
Mittel, um diese Ziele zu erreichen, seien „in unseren deutschen Bauernhöfen und
vor allem in unseren Bergbauernhöfen“ zu finden :188
„Dort, wo liberalkapitalistische Kreise in ihrer Sucht nach sicherer Geldveranlagung
in Wald- und Jagdgründen den Bauern mit goldener Münze vertrieben haben oder
denselben zum Pächter oder Knecht auf seinem angestammten Hof und Boden de-
gradierten, muß der Bergbauer wieder hin. Denn das deutsche Volk und mit ihm
seine nationalsozialistische Regierung kann weder die durch die Höhenflucht ver-
ursachte Verminderung der landwirtschaftlichen Produktion, noch die Liquidierung
wertvoller Quellen rassischer Erneuerung für Mensch, Pflanze und Tier auf die Dauer
dulden.“189
Dass der Autor nicht nur die „rassischen“, sondern auch die wirtschaftlichen Funk-
tionen des „Bergbauern“ betonte und mit statistischen Daten unterfütterte, verweist
auf den Kontext dieses Textes. Die Therapie, die Reinthaller aus dem diagnosti-
zierten Bergbauern-Syndrom ableitete, richtete sich gegen eine konträre Thera-
pie, die aus der „teilweise noch immer üblichen kapitalistischen Betrachtung der
landwirtschaftlichen Probleme“ folgte. Es ging, wie ein leitender Amtsträger aus
Niederdonau 1941 bekundete, um die Frage, „ob es in Anbetracht des rückerober-
ten deutschen Lebensraumes im Osten und der oft mangelnden wirtschaftlichen
Rentabilität überhaupt zu verantworten sei, das Bergland zu erhalten, oder ob es
nicht besser wäre, das Bergland als Lebensraum zu opfern und aufzuforsten“.190
Der Impetus des Artikels war wohl nicht nur dogmatischer, sondern auch prag-
matischer Art : Der Text diente zur öffentlichen Rechtfertigung der – in den Füh-
rungsetagen nicht unumstrittenen – Einrichtung der Unterabteilung „Bergland“
im REM, zu deren Leiter sein Autor zu Jahresanfang 1940 bestellt worden war.
Reinthaller hatte sich bereits zur Jahresmitte 1938 beim Reichsernährungsminister
um die Einrichtung einer Berglandabteilung bemüht, um – wie Emmerich Exel,
leitender Mitarbeiter der Landesbauernschaft Donauland, als Insider zu berichten
weiß
– dem Abzug der Landwirtschaftsagenden von Wien entgegenzuwirken ; mit
Reichsstatthalter Arthur Seyß-Inquart als Fürsprecher sei es zur Jahresmitte 1939
gelungen, die Zusage aus Berlin zu erreichen.191 Ein weiterer Insider, Heinz Haus-
hofer, Abteilungsleiter in der Behörde des Reichsstatthalters Niederdonau, wertet
die Einrichtung der Berglandabteilung als Zugeständnis – als „Zuckerl“ – für die
„Ostmärker“, weil bei der Umorganisation des Agrarapparats keine „österreichische
Lösung“ zustande gekommen war.192 Wie auch immer, die enorme publizistische
Aktivität, die Reinthaller als Kopf der Bergbauern-Lobby seit 1938 entfaltete –
allein bis 1940 erschienen unter seinem Namen im Wochenblatt 22, in der Natio-
nalsozialistischen Landpost sieben und in der Wiener Landwirtschaftlichen Zeitung
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Schlachtfelder
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Schlachtfelder
- Subtitle
- Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
- Author
- Ernst Langthaler
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20065-9
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 948
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorwort 9
- 1. Akteure in Agrarsystemen 11
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
- 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
- Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
- 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
- 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
- 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
- 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
- 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
- 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
- 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
- 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
- 2.9 Zusammenfassung 149
- 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
- Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
- 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
- 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
- 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
- 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
- 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
- 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
- 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
- 3.8 Zusammenfassung 253
- 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
- Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
- 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
- Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
- 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
- Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
- 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
- Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
- 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
- Anmerkungen 755
- Tabellenanhang 824
- Farbabbildungsanhang 849
- Quellen- und Literaturverzeichnis 865
- Abkürzungsverzeichnis 918
- Tabellenverzeichnis 920
- Abbildungsverzeichnis 927
- Personenregister 933
- Ortsregister 934
- Sachregister 937