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454 Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“
Dieses Leitbild wurde nach Gemeinschafts- und Einzelmaßnahmen in Arbeits-
schritte zerlegt sowie innerhalb der Einzelmaßnahmen auf drei „Betriebstypen“
heruntergebrochen : den kleineren, mittleren und größeren Bauernbetrieb. Für
den – aus dem „Gemeinschaftsaufbau“ ausgeklammerten – kleineren Betrieb
wurde die „untere Grenze ihrer Lebensfähigkeit“ bei 15 Hektar landwirtschaftli-
cher Nutzfläche angesetzt ; hier sollte die arbeitsintensive Betreuung von Sonder-
kulturen, auch durch die vermehrte Tätigkeit von Frauen und Kindern, die Lebens-
haltung der Familien verbessern. Im Zentrum der Planung standen die bäuerlichen
Mittel- und Großbetriebe, deren Anteile auf etwa 71 bzw. 29 Prozent festgesetzt
wurden ; hier sollte die Intensivierung durch vermehrten Kapitaleinsatz – und da-
mit die Steigerung der Boden- und Arbeitsproduktivität – vorangetrieben werden
(Abbildung 5.18).
Obwohl demselben Leitbild folgend, unterschieden sich die Agrarsysteme der
angepeilten „Betriebstypen“ in mehrfacher Hinsicht, etwa nach der Landnutzung :
Der Waldanteil der 30-Hektar-Mittelbetriebe betrug ein Viertel, der 50-Hektar-
Großbetriebe ein Drittel ; das Ackerland umfasste im ersten Fall ein Drittel, im
zweiten Fall ein Fünftel der landwirtschaftlichen Nutzfläche ; dafür waren bei den
Wiesen und Mähweiden die Gewichte umgekehrt – gut die Hälfte gegenüber
knapp zwei Drittel – verteilt ; die Mittelbetriebe widmeten dem Feldfutterbau, die
Großbetriebe dem Getreide- und Hackfruchtbau mehr Ackerflächen. Auch die
Viehnutzung zeigte abgesehen vom Umfang – 28 gegenüber 43 GVE – Unter-
schiede : Der mittelbäuerliche Betrieb hielt ein Ochsenpaar, der großbäuerliche
Betrieb zwei Pferde als Zugtiere ; der Anteil der Jungrinder am Viehstand betrug
im ersten Modellbetrieb nur die Hälfte dessen, was er im zweiten ausmachte.
Die Maschinenausstattung der Mittelbetriebe entsprach einem Wert von 10.050
Reichsmark, jene der Großbetriebe einem Wert von 12.800 Reichsmark ; davon
befand sich im ersten Fall ein Drittel, im zweiten Fall ein Fünftel in Gemein-
schaftsbesitz. Für die im Mittelbetrieb benötigten 3,5 AKE wurde angenommen,
dass mit den Familienangehörigen das Auslangen gefunden werde ; hingegen soll-
ten die 4,8 AKE des Großbetriebs zu gut einem Viertel durch Fremdarbeitskräfte
gestellt werden.
Um die durch den „Gemeinschaftsaufbau“ eingeschlagene Entwicklungsrich-
tung präziser zu bestimmen, vergleichen wir den gewichteten Durchschnitt der
geplanten „Betriebstypen“ mit dem Durchschnitt der 1941 bestehenden Betriebe
(Abbildung 5.19). Das Flächenausmaß änderte sich vom Ist- zum Soll-Zustand
kaum ; nur der Waldbesitz sollte durch Aufteilung von Gemeindewald leicht auf-
gestockt werden. Eine deutliche Verschiebung erfolgte hingegen von Hutweiden
zu Wiesen und Mähweiden einerseits, zu Ackerland, vor allem zum Hackfrucht-
und Feldfutterbau, andererseits. Während sich die Relationen beim Brotgetreide
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Schlachtfelder
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Schlachtfelder
- Subtitle
- Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
- Author
- Ernst Langthaler
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20065-9
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 948
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorwort 9
- 1. Akteure in Agrarsystemen 11
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
- 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
- Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
- 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
- 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
- 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
- 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
- 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
- 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
- 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
- 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
- 2.9 Zusammenfassung 149
- 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
- Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
- 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
- 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
- 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
- 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
- 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
- 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
- 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
- 3.8 Zusammenfassung 253
- 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
- Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
- 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
- Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
- 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
- Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
- 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
- Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
- 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
- Anmerkungen 755
- Tabellenanhang 824
- Farbabbildungsanhang 849
- Quellen- und Literaturverzeichnis 865
- Abkürzungsverzeichnis 918
- Tabellenverzeichnis 920
- Abbildungsverzeichnis 927
- Personenregister 933
- Ortsregister 934
- Sachregister 937