Page - 470 - in Schlachtfelder - Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Image of the Page - 470 -
Text of the Page - 470 -
470 Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“
Handelsdünger, die ohne Steigerung der – mangels Stallbaufinanzierung stagnie-
renden – Stalldüngermenge kaum nachhaltige Wirkung entfaltete ; die Viehaus-
tauschaktion, bei der sich ein Viertel der eingestellten Kühe als „ausgesprochene
Versager“ entpuppte.256
Zweitens stellte sich vor allem die Zuteilung der Gemeinschaftsarbeit – des
„Grundpfeiler[s] des Gemeinschaftsaufbaues überhaupt“
– durch den Aufbauleiter
als sozial widersprüchlich heraus. Dabei ging es vor allem um die Lieferung von
Baumaterialien sowie die Bereitstellung von Fuhrwerken und Arbeitskräften. Brau-
ner bekannte die „großen Schwierigkeiten“, welche die Aufteilung dieser Leistun-
gen auf die einzelnen Betriebsbesitzer/-innen aufwarf. Folglich sollte nicht der für
die ganze Gemeinde zuständige Aufbauleiter, sondern ein Obmann aus dem Kreis
der unmittelbar am Güterweg-, Elektrifizierungs- oder Entwässerungsprojekt be-
teiligten „Interessenten“ die Aufteilung und Verbuchung der erforderlichen Leis-
tungen vornehmen. Nur die zur Mithilfe notwendigen „Nichtinteressenten“ seien
vom Aufbauleiter zu verpflichten. Die im Bericht nicht offen ausgesprochenen,
aber zwischen den Zeilen durchschimmernden Konflikte um die Lastenverteilung
ließen den Aufbauleiter zum rettenden Strohhalm greifen : So erwog er den lokalen
Brandhilfeverein mit seinem „seit Jahrzehnte[n] eingeschulten Apparat“, der „zu
wertvoll ist, als dass er übergangen werden sollte“,257 als Organisator des künfti-
gen Aufbaus der Wohn- und Wirtschaftsgebäude. Offensichtlich widersprach die
befehlsartige Zuteilung von Lasten durch einen Vertreter des Systems den alltägli-
chen Mustern des gemeinsamen Aushandelns von Lasten.
Drittens erwiesen sich einige Aufbaumaßnahmen für die bäuerlichen Genos-
senschafter als kulturell widersprüchlich. Aus Rücksicht darauf plädierte Brauner
für keinen ideologisch-kämpferischen, sondern einen vertrauensbildenden Kurs
gegenüber der katholisch-konservativ eingestellten Mehrheit der Bauernschaft :
„Es muss vielmehr grösster Wert darauf gelegt werden, dass durch die Arbeit der
Aufbaugenossenschaft die ständig laufende Gegenpropaganda, für die das Bauerntum
zufolge seiner konfessionellen Bindung neigt, ständig widerlegt und das Vertrauen ge-
wonnen wird. Durch die gleichlaufende Schulung und die Erweiterung des Horizonts
auch der Bauernschaft wird dann die politische Gewinnung als letzte Frucht des Ge-
meinschaftsaufbaues erst zu einem viel späteren Zeitpunkt reifen. Bis dorthin ist nicht
entscheidend, was im Bauerntum gesprochen wird, sondern entscheidend ist, wie es
handelt und wie es insbesondere durch die Anspornung zur Gemeinschaftsleistung,
zum Gemeinschaftsgedanken überhaupt erzogen wird.“258
Der bäuerliche Konservativismus stand nicht nur allgemein in Spannung zum
nationalsozialistischen „Gemeinschaftsaufbau“, sondern auch zu einer besonde-
back to the
book Schlachtfelder - Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945"
Schlachtfelder
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Schlachtfelder
- Subtitle
- Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
- Author
- Ernst Langthaler
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20065-9
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 948
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorwort 9
- 1. Akteure in Agrarsystemen 11
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
- 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
- Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
- 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
- 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
- 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
- 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
- 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
- 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
- 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
- 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
- 2.9 Zusammenfassung 149
- 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
- Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
- 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
- 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
- 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
- 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
- 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
- 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
- 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
- 3.8 Zusammenfassung 253
- 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
- Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
- 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
- Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
- 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
- Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
- 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
- Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
- 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
- Anmerkungen 755
- Tabellenanhang 824
- Farbabbildungsanhang 849
- Quellen- und Literaturverzeichnis 865
- Abkürzungsverzeichnis 918
- Tabellenverzeichnis 920
- Abbildungsverzeichnis 927
- Personenregister 933
- Ortsregister 934
- Sachregister 937