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512 Das „Landvolk“ und seine Meister
umfangreiche Vieh-, vor allem Rinderhaltung mit eigener Aufzucht. Die agrarpo-
litischen Forderungen umfassten erstens in technischer Hinsicht die Verbesserung
der Bodenbearbeitung, der Saatgutpflege, der Bestellung und Pflege der Saaten
sowie der Stallmistversorgung ; zweitens in betriebswirtschaftlicher Hinsicht die
Forcierung des arbeitssparenden, aber organisatorisch aufwendigen Mähweidebe-
triebes bei gegebener „Tüchtigkeit des einzelnen Bauern“ ; drittens auf dem Gebiet
der Veredelungswirtschaft die Bereinigung der Rinderrassen sowie die Aufwer-
tung züchterischer Grundsätze – vielfach wisse „über die Einzelheiten im Stall
nur die Bauersfrau Bescheid“ – aufseiten der männlichen Betriebsleiter ; viertens
die Verminderung der Abhängigkeit von den im Zuge der „Landflucht“ verknapp-
ten Gesindearbeitskräften. Zu den Forderungen der Acker-Graswirtschaften an
die Agrarpolitik zählten erstens die Sicherung des Agrarpreisniveaus auf mittlerer
Höhe bei gleichzeitiger Eindämmung der Kosten des Betriebsaufwandes ; zweitens
müssten im Hinblick auf den Bedarf an ständigen Arbeitskräften einerseits der
Einsatz arbeitssparender Maschinen und Geräte, andererseits die „Bindung der
Landarbeiter an den bäuerlichen Hof“, etwa durch Landarbeiterwohnungen und
-siedlungen, forciert werden.78
Bei den Weinwirtschaften in den klimatisch geeigneten Gebieten Niederdonaus
und der Steiermark handelte es sich um arbeitsintensive Klein- und Mittelbetriebe
mit mehr oder weniger Pachtlandanteil auf familienwirtschaftlicher Basis. Im Fall
eines geringen Weinlandanteiles bei mittelbäuerlichem Zuschnitt ähnelte dieser
Betriebstyp der in denselben Regionen vorherrschenden Ackerwirtschaft : erheb-
liche Futtergrundlage, genügender Viehstand, ausreichender Stalldüngeranfall,
harmonische Arbeitsverteilung – kurz, erhöhte Krisenfestigkeit. Falls jedoch der
Anteil der Weingärten an der Gesamtfläche – typischerweise in den Zwerg- und
kleinbäuerlichen Betrieben
– überhand nahm, dann erhob sich eine Reihe von Kri-
tikpunkten : Unter dem Stallmistbedarf des Reblandes leide das Ackerland ; die
verringerte Futterbasis führe bei dem im Krieg gegebenen Mangel an Kauffutter
zur Einschränkung der Viehhaltung und der Veredelungsleistungen ; vielfach dien-
ten Ackerbau und Viehhaltung nur mehr der Selbstversorgung oder erforderten im
Extremfall sogar den Zukauf von Brot und Milch ; die einseitige Arbeitsverteilung
führe zur Abhängigkeit von Taglohnarbeit sowie, bei fehlender Arbeitskraftversor-
gung, zur Vernachlässigung von Ackerbau und Viehhaltung. Kurz, „die Feld- und
Viehwirtschaft bilden in diesen Weinbetrieben gleichsam den Puffer, der unter Schonung
des Rebbaues alle naturgegebenen und wirtschaftlichen Stöße auffangen muß [Hervor-
hebung im Original]“. Agrarpolitisch seien daher ein Abbau der extrem einseitigen
Ausrichtung auf den Weinbau sowie die Aufwertung von Ackerbau und Viehhal-
tung gefordert. Die Forderung der Weinwirtschaften an die Agrarpolitik bestehe
vor allem in der Sicherung hoher Weinpreise, die – nach dem Preisverfall in der
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Schlachtfelder
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Schlachtfelder
- Subtitle
- Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
- Author
- Ernst Langthaler
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20065-9
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 948
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorwort 9
- 1. Akteure in Agrarsystemen 11
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
- 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
- Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
- 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
- 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
- 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
- 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
- 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
- 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
- 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
- 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
- 2.9 Zusammenfassung 149
- 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
- Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
- 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
- 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
- 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
- 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
- 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
- 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
- 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
- 3.8 Zusammenfassung 253
- 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
- Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
- 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
- Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
- 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
- Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
- 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
- Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
- 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
- Anmerkungen 755
- Tabellenanhang 824
- Farbabbildungsanhang 849
- Quellen- und Literaturverzeichnis 865
- Abkürzungsverzeichnis 918
- Tabellenverzeichnis 920
- Abbildungsverzeichnis 927
- Personenregister 933
- Ortsregister 934
- Sachregister 937