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516 Das „Landvolk“ und seine Meister
Verwirklichung im „Gemeinschaftsaufbau im Bergland“ als einer „den gesamten
Betriebsorganismus umfassende Bergbauernhilfe“.
Die wechselseitige Abstimmung der agrarpolitischen und betriebswirtschaft-
lichen Forderungen setze eine entsprechende Wirtschaftsberatung voraus ; diese
müsse einerseits den Ansprüchen der Agrarpolitik an die Betriebe zum Durch-
bruch verhelfen, andererseits an den Grundlagen für die berechtigten Ansprüche
der Betriebe an die Agrarpolitik mitwirken – bis hin zur völligen Verschmelzung
von Agrarpolitik und Landbau.86 Doch in welcher Weise sollte diese Vermitt-
lungsleistung angelegt sein, um Erfolg zu haben ? Während sich Lechler darauf
beschränkte, die Notwendigkeit der Wirtschaftsberatung zu betonen, äußerte
sich Löhr an anderer Stelle ausführlich zu dieser Frage. Er sah die Antwort da-
rauf weniger in einem belehrenden, als in einem verstehenden Zugang – in ei-
ner Wirtschaftsberatung, die auf dem Verständnis des ‚Wesens‘ der bäuerlichen
Arbeit aufbaute.87 Die bäuerliche Arbeit unterscheide sich grundlegend von den
kapitalistischen Arbeitsverhältnissen eines Unternehmers oder Lohnarbeiters ; sie
sei kein Beruf, sondern „ausschließlicher Lebensinhalt“. Es waren vor allem zwei
Momente – ein räumliches und ein zeitliches –, welche die nicht- oder vorkapi-
talistische Eigenart der Bauernarbeit prägten. In räumlicher Hinsicht sei die bäu-
erliche Arbeit eins mit der Natur ; selbst die Landtechnik habe diese organische
Verbindung nur gelockert, nicht getrennt :
„Der Arbeitsvollzug ist die urtümliche Reaktion auf den gesetzmäßigen Ablauf aller
Naturvorgänge. Daraus wird die Naturverbundenheit der Bauernarbeit ebenso erklär-
lich wie die Erscheinung, daß das bäuerliche Wesen vom Zeitgeschehen weitgehend
unberührt bleibt. Das Arbeitsmotiv wird nicht durch einen Zwang von außen her ge-
bildet, sondern durch die unmittelbare Nähe der Natur, die selber bestimmt, wann
sie an sich arbeiten läßt. Die bäuerliche Arbeitszeit wird nicht an der Uhr gemessen,
sondern die Natur zeigt dem Bauern seine Bahn für die Arbeit [Hervorhebungen im
Original].“88
In zeitlicher Hinsicht sei die bäuerliche Arbeit an die Tradition gebunden ; selbst
die sich allmählich durchsetzenden Neuerungen blieben darin eingebettet :
„Denn bis in unsere Tage wurde die bäuerliche Grundhaltung von dem bestimmt, was
vor Zeiten ins bäuerliche Bewußtsein einging. Das Gegenwärtige wird vom Bauern
am Vergangenen gemessen und das Interesse am Zukünftigen steht ebenso unter dem
Eindruck der Tradition. Die Überlieferung als Machtsphäre vergangener Gescheh-
nisse verleiht dem Bauern zwangsläufig eine Prägung, die bei flüchtiger Betrachtung
mit Schwerfälligkeit und Rückständigkeit im Handeln verwechselt wird.“89
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Schlachtfelder
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Schlachtfelder
- Subtitle
- Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
- Author
- Ernst Langthaler
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20065-9
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 948
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorwort 9
- 1. Akteure in Agrarsystemen 11
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
- 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
- Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
- 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
- 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
- 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
- 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
- 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
- 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
- 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
- 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
- 2.9 Zusammenfassung 149
- 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
- Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
- 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
- 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
- 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
- 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
- 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
- 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
- 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
- 3.8 Zusammenfassung 253
- 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
- Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
- 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
- Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
- 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
- Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
- 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
- Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
- 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
- Anmerkungen 755
- Tabellenanhang 824
- Farbabbildungsanhang 849
- Quellen- und Literaturverzeichnis 865
- Abkürzungsverzeichnis 918
- Tabellenverzeichnis 920
- Abbildungsverzeichnis 927
- Personenregister 933
- Ortsregister 934
- Sachregister 937