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529Bindeglied
zwischen Führung und „Landvolk“ ?
vertrauensvoll in die Zukunft blicken, denn die Verheißungen werden eingelöst wer-
den, wenn Deutschland wieder Handlungsfreiheit besitzt, und müssen eingelöst wer-
den, wenn Deutschland leben will. Im Glauben an den Führer treten wir wieder hinter
den Pflug, denn weiterhin gilt für uns die Parole : „Anspannen und Brot schaffen für
ein neues Deutschland und für das kommende Europa.“140
Die Erneuerung, von der hier die Rede war, unterschied sich grundlegend von
der Begriffskonjunktur von „neu“ zwischen „Anschluss“ und Kriegsbeginn : Ers-
tere operierte defensiv, Letztere offensiv. Das Attribut „neu“ bezog sich 1939 auf
eine Reihe von Neuerungen, die in der Ostmark aus dem „Altreich“ übernommen
oder im Zuge der „Kriegsernährungswirtschaft“ eingeführt wurden ; es referierte
auf eine Gegenwart, die scharf von der Vergangenheit der „Systemzeit“ abgeho-
ben schien. Das „neue Deutschland“, von dem ab 1943 vermehrt die Rede war,
hatte hingegen keinen gegenwärtigen Referenten ; es bezog sich auf eine nach dem
„Endsieg“ erst zu schaffenden Zukunft. Dieser Erwartungshorizont war darauf an-
gelegt, der alltäglichen Misere im bäuerlichen Erfahrungsraum durch Projektion
auf äußere „Feinde“ einen Sinn abzugewinnen – und darüber das schwindende
Vertrauen des „Landvolks“ in die Führung zu festigen.141
Dass der Diskurs des Wochenblatts gemeinschaftsstiftende Appelle enthielt, wird
in der Häufung des Personalpronomens „wir“ und des Possessivpronomens „un-
ser“ in den ersten Jahren der NS-Ära deutlich. Häufig fanden die beiden Begriffe
in Überschriften, die dem Frage-Antwort-Schema folgten, Verwendung : Wozu
brauchen wir die Hofkarte ? Sie hilft uns in der Erzeugungsschlacht.142 Die Gemein-
schaften, auf die sich das „Wir“ bezog, variierten zwischen engeren und weiteren
Grenzziehungen. Im engeren Sinn war der Reichsnährstand gemeint, meist in sei-
ner paternalistischen Position gegenüber der bäuerlichen Klientel : Wir wissen, wo
den Bauern der Schuh drückt.143 Im weitesten Sinn war mit „wir“ das ‚Eigene‘ – die
„Nation“, das „Volk“, das „Deutschtum“ – in Abgrenzung zu ‚den Anderen‘ ge-
meint : Warum haben wir Anspruch auf Böhmen und Mähren ?144 Meist bezog sich der
„Wir“-Diskurs, einer mittleren Grenzziehung folgend, auf das „Landvolk“. Bei der
Akzentuierung des bäuerlich-völkischen Gemeinschaftsentwurfs wurde nicht nur
der innere Zusammenhalt, sondern auch die Grenze zum Außenbereich markiert ;
das war etwa beim Umgang mit Kriegsgefangenen und ausländischen Zivilarbeits-
kräften der Fall : Feind bleibt Feind – auch in Kriegsgefangenschaft. Eine Mahnung
und Warnung an unser Landvolk.145
Überschriften mit dem Wort „unser“ behaupteten ein Besitzverhältnis zwischen
dem Wir-Subjekt und einem Objekt, vor allem den Ressourcen der ländlichen
Betriebs- und Haushaltsführung : Die Marktordnung hilft unserem Gemüsebau,146
Die wichtigen Grundsätze zur Winterfütterung unserer Milchkühe,147 Sind unsere Ma-
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Schlachtfelder
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Schlachtfelder
- Subtitle
- Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
- Author
- Ernst Langthaler
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20065-9
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 948
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorwort 9
- 1. Akteure in Agrarsystemen 11
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
- 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
- Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
- 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
- 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
- 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
- 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
- 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
- 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
- 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
- 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
- 2.9 Zusammenfassung 149
- 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
- Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
- 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
- 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
- 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
- 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
- 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
- 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
- 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
- 3.8 Zusammenfassung 253
- 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
- Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
- 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
- Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
- 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
- Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
- 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
- Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
- 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
- Anmerkungen 755
- Tabellenanhang 824
- Farbabbildungsanhang 849
- Quellen- und Literaturverzeichnis 865
- Abkürzungsverzeichnis 918
- Tabellenverzeichnis 920
- Abbildungsverzeichnis 927
- Personenregister 933
- Ortsregister 934
- Sachregister 937