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530 Das „Landvolk“ und seine Meister
schinen in Ordnung ?148 Über derartige symbolische Inbesitznahmen gewann eine
Vorstellung Kontur : das Deutsche Reich als großer Bauernhof, bearbeitet vom
„Landvolk“, geführt von dessen Meistern im Reichsnährstand. Wie die Häufungen
von „wir“ und „unser“ zeigen, trachteten die Wochenblatt-Macher vor allem in den
ersten beiden Jahren der NS-Herrschaft danach, die Vorstellung eines überdimen-
sionierten, auf das Reichsgebiet erweiterten „ganzen Hauses“149 in den Köpfen der
Leserschaft zu befestigen.
Insgesamt hatte der Begriff „Führer“
– teils bezogen auf Adolf Hitler, teils bezo-
gen auf untergeordnete Führungsfiguren
– durchgängig bis Anfang 1943 Konjunk-
tur ; danach folgte ein merklicher Einbruch. Auffällig ist der Zusammenhang mit
der auf die „Volksstimmung“ drückenden Niederlage der Deutschen Wehrmacht
bei Stalingrad zu Jahresbeginn 1943 ;150 danach machte das Wochenblatt von „Füh-
rer“ als Überschriftenbegriff deutlich seltener Gebrauch. Offenbar wurde die ‚große
Politik‘ dem „Landvolk“ weniger über die abstrakte Formel „Nationalsozialismus“,
als vielmehr über konkrete Führungsfiguren nahegebracht. Darin äußert sich eine
Facette der „charismatischen Herrschaft“ des NS-Regimes, die ihre Legitimität
aus der Abspaltung alltäglicher Missstände von der mythisch überhöhten Figur
des „Führers“ schöpfte.151
Das Wochenblatt hatte in der Logik des ‚nationalen Hofes‘ die Aufgabe, dem
„Landvolk“ die Entscheidungen der Führung zu übermitteln und begreiflich zu
machen ; damit imitierte es den patriarchalischen „Hausvater“, der seinen Arbeits-
kräften Ratschläge und Anweisungen erteilt. Diese hierarchische Kommunikation
erfolgte in unterschiedlicher Weise : anleitend, argumentierend, aufklärend und
appellierend. Anleitungen bezogen sich auf spezielle Arbeitstätigkeiten in Betrieb
und Haushalt im Lauf des Jahres, bei denen folgenreiche Entscheidungen, etwa
über die Landnutzung und Viehhaltung, zeitgerecht zu treffen waren : Wieviel Zu-
ckerrübe bauen wir heuer ?152 Anleitungen betrafen nicht nur die Betriebs-, sondern
auch die Haushaltstätigkeiten ; auf diese Weise befestigte der Wochenblatt-Dis-
kurs die Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern : Waschfibel für die Landfrau.
Wie machen wir uns Hausseife ?153 Mit den Anleitungen hatten die Argumentati-
onen die Bezugnahme auf spezielle Betriebs- und Haushaltstätigkeiten gemein ;
der Unterschied bestand in der Art der Begründung der jeweiligen Maßnahme :
eher implizit im ersten, explizit im zweiten Fall : Warum Hühnerstallbeleuchtung im
Winter ? Wir müssen den Hühnern den Futtertag verlängern.154 Explizite Begrün-
dungen kennzeichneten auch die Aufklärungen ; doch anders als Anleitung und
Argumentationen ging es dabei weniger um spezielle Betriebs- und Haushaltsent-
scheidungen, als vielmehr um generelle, oft polarisierende Themen. Ausgangspunkt
von Aufklärungen waren meist – vermeintliche oder tatsächliche – Anfragen aus
der Leserschaft, etwa zum umstrittenen REG : Schützt das Reichserbhofgesetz die
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Schlachtfelder
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Schlachtfelder
- Subtitle
- Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
- Author
- Ernst Langthaler
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20065-9
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 948
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorwort 9
- 1. Akteure in Agrarsystemen 11
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
- 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
- Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
- 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
- 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
- 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
- 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
- 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
- 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
- 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
- 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
- 2.9 Zusammenfassung 149
- 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
- Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
- 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
- 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
- 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
- 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
- 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
- 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
- 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
- 3.8 Zusammenfassung 253
- 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
- Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
- 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
- Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
- 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
- Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
- 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
- Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
- 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
- Anmerkungen 755
- Tabellenanhang 824
- Farbabbildungsanhang 849
- Quellen- und Literaturverzeichnis 865
- Abkürzungsverzeichnis 918
- Tabellenverzeichnis 920
- Abbildungsverzeichnis 927
- Personenregister 933
- Ortsregister 934
- Sachregister 937