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538 Das „Landvolk“ und seine Meister
auf taube Ohren stößt, sucht die Überzeugungskraft des Filmmediums die Augen
für den rechten Weg zum „Wirtschaftserfolg“ zu öffnen.
Um der vom Ideal abweichenden Realität der Wirtschaftsberatung vor Ort auf
die Spur zu kommen, scheint ein Blick auf deren Organisation auf Kreis- und Ge-
meindeebene geboten. Gemäß der Idealvorstellung verfügte jeder Landkreis über
eine Wirtschaftsberatungsstelle, die eng mit Landwirtschaftsschule und Kreisbau-
ernschaft kooperierte. Die Zusammenarbeit mit der Landwirtschaftsschule be-
stand vor allem darin, dass der Beratungsleiter und die Wirtschaftsberater/-innen
meist zugleich Lehrende waren. Für die Schule sollte dadurch der Praxisbezug ge-
währleistet sein : „Die Schule schöpft durch die Wirtschaftsberatung unmittelbar
aus der breiten Masse der Wirtschaftsbetriebe Erkenntnis und Anregungen, lebt
dadurch mit und bleibt darum auch lebensnahe und lebenswahr.“179 Einen häufig
debattierten Konfliktpunkt stellte die für die Wirtschaftsberatung aufgewendete
Zeit dar, vor allem für die „Bewältigung der durch die Kriegswirtschaft zum rei-
ßenden Strom angeschwollenen Papierflut, die, wenn man ihr nicht entschieden zu
Leibe rückt, alles Leben zu vernichten droht“.180 Die Kooperation mit der Kreis-
bauernschaft bestand vor allem in der fachlichen Beratung des Kreisbauernfüh-
rers durch den Beratungsleiter, häufig Direktor der Landwirtschaftsschule. Aus
der unklaren Abgrenzung der Kompetenzen zwischen den beiden ergab sich auch
der häufigste Konfliktpunkt, nämlich die „unnötigen Auseinandersetzungen“ über
die Beziehung des Beratungsleiters zu „landwirtschaftlich fachlich wichtige[n]
Beschlüsse[n] im Rahmen der Kreisbauernschaft“.181
Die Arbeitsorganisation in der Wirtschaftsberatungsstelle folgte einem hi-
erarchischen Muster. Der Beratungsleiter legte nach den Weisungen der Lan-
desbauernschaft in Zusammenarbeit mit dem Kreisbauernführer und dem
Stabsleiter die Richtlinien für die Wirtschaftsberatung im Kreis fest, teilte die
Wirtschaftsberater/-innen, einschließlich der Hauswirtschaftslehrerinnen, ein und
leitete die Schulung der örtlichen Hofberater. Die Wirtschaftsberater/-innen führ-
ten die Beratungstätigkeit in den ihnen zugeteilten Abschnitten nach den grund-
sätzlichen Weisungen des Beratungsleiters selbstständig durch ; zudem wurden sie
für Aufträge in anderen Abschnitten, etwa für Vorträge, Saatgutanerkennungen
oder Hofbegehungen, herangezogen. Während sich die Wirtschaftsberater auf die
hauptsächlichen Zweige des Landwirtschaftsbetriebs konzentrierten, widmeten
sich die Wirtschaftsberaterinnen Bereichen wie der Hauseinrichtung, der Klein-
tierhaltung oder dem Bauerngarten. Vor allem aber machten sie Vorschläge zur
Verminderung der weiblichen Arbeitszeit, denn : „Die Tätigkeit der Landfrau ist
nicht nur auf Haus, Küche und Vorratsbeschaffung beschränkt – wie etwa bei den
Durchschnitts-Stadthausfrauen –, sondern ist so vielseitig, daß zu alldem der Tag
beinahe zu kurz ist.“182 Auf Weisung von Landesbauernführer Anton Reinthal-
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Schlachtfelder
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Schlachtfelder
- Subtitle
- Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
- Author
- Ernst Langthaler
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20065-9
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 948
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorwort 9
- 1. Akteure in Agrarsystemen 11
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
- 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
- Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
- 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
- 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
- 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
- 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
- 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
- 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
- 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
- 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
- 2.9 Zusammenfassung 149
- 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
- Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
- 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
- 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
- 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
- 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
- 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
- 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
- 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
- 3.8 Zusammenfassung 253
- 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
- Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
- 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
- Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
- 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
- Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
- 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
- Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
- 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
- Anmerkungen 755
- Tabellenanhang 824
- Farbabbildungsanhang 849
- Quellen- und Literaturverzeichnis 865
- Abkürzungsverzeichnis 918
- Tabellenverzeichnis 920
- Abbildungsverzeichnis 927
- Personenregister 933
- Ortsregister 934
- Sachregister 937