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Geschichte
Nach 1918
Schlachtfelder - Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
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548 Das „Landvolk“ und seine Meister Behörden, dem NSDAP-Propagandaleiter als Gemeindearzt  – öffentliche Aner- kennung einbrachte. Andererseits rangierten Dorfschullehrer, Gemeindesekretär und Gemeindearzt mangels Landbesitzes in der bäuerlichen Besitzhierarchie auf der Stufe der Kleinhäusler/-innen. Der autoritative, stellenweise schwülstige Stil, in dem der Zeitungsartikel gegen die „Raunzer, auch Meckerer genannt“, gehalten ist, lässt einen bildungsbürgerlichen Habitus durchschimmern. Dadurch engt sich der Kreis möglicher Verfasser/-innen auf zwei ein : den 1938 zum Schulleiter und Bürgermeister aufgestiegenen Volksschullehrer und den langjährigen Gemeinde- arzt. Da der Volksschullehrer bereits nach wenigen Monaten an einen anderen Dienstort versetzt wurde, bleibt als wahrscheinlicher Verfasser des Artikels der Arzt, der als „Alter Kämpfer“ der NSDAP nach dem „Anschluss“ zum örtlichen Propagandaleiter avanciert war.225 Der „Meckerer“-Artikel in der St. Pöltner Zeitung markierte eine Legitimati- onskrise nationalsozialistischer Herrschaft vor Ort. Herrschaft scheint dann am sichersten, wenn sie nicht im Gerede ist. Das Schweigen kennzeichnet jenen Zu- stand, in dem die Beherrschten die Amtsmacht der lokalen Herrschaftsträger ohne Widerrede anerkennen  – und in ihrer Willkür verkennen.226 Doch unter dem Mantel des Schweigens schwelte ein Konflikt zwischen den neuen, nationalsozia- listischen und den alten, christlichsozialen Machthabern in der Gemeinde. Dieser Konflikt, der mit den erdrutschartigen Wahlerfolgen der NSDAP in den frühen 1930er Jahren seinen Anfang genommen hatte, fand mit der Machtübernahme der lokalen Nationalsozialisten im März 1938 und der folgenden „Gleichschal- tung“ des dörflichen Vereinswesens kein Ende. Er bestimmte  – wenn auch mit vertauschten Rollen  – weiterhin die mehr verdeckten als offenen Machtkämpfe im Dorf.227 Beide Fraktionen verband die Ansicht, dass Macht einen lohnenden Streitgegenstand darstelle. Was sie trennte, war die Kluft zwischen ihren Standor- ten in der ländlichen Gesellschaft : Während das Ansehen des überwiegenden Teils der NS-Führung als Dorfintelligenz auf dem kulturellen Kapital der Bildung grün- dete, speiste sich die Ehre der 1938 von ihren kommunalen Ämtern abgesetzten bäuerlich-gewerblichen Honoratioren vor allem aus dem ökonomischen Kapital eines Landwirtschafts- oder Gewerbebetriebs. Die Strategie der NS-Dorfelite war, sich des Schweigens der Vertreter des christlichsozialen „Systems“, etwa durch die Vergabe der kommunalen Jagdgebiete, zu versichern  – und darüber ihrer Herr- schaft stillschweigend Anerkennung zu verschaffen.228 Im Sommer 1939 war jedoch die Legitimität der nationalsozialistischen Herr- schaft ins Gerede gekommen, der latente Konflikt in einen manifesten umge- schlagen. Vielleicht trug der sich abzeichnende, in der ländlichen Bevölkerung unpopuläre Angriffskrieg des Deutschen Reichs gegen Polen und die West- mächte  – manche sprechen von einer „Kriegspsychose“ auf dem Land  – zu dieser
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Schlachtfelder Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
Title
Schlachtfelder
Subtitle
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Author
Ernst Langthaler
Publisher
Böhlau Verlag
Location
Wien
Date
2016
Language
German
License
CC BY-NC 3.0
ISBN
978-3-205-20065-9
Size
15.5 x 23.5 cm
Pages
948
Categories
Geschichte Nach 1918

Table of contents

  1. Vorwort 9
  2. 1. Akteure in Agrarsystemen 11
  3. Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
    1. 1.1 Von (Re-)Aktionsmustern zu Interaktionsfeldern 11
    2. 1.2 Agrarsysteme und Landwirtschaftsstile im Kräftefeld 16
    3. 1.3 Instrumente der Feldvermessung 26
  4. 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
  5. Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
    1. 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
    2. 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
    3. 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
    4. 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
    5. 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
    6. 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
    7. 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
    8. 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
    9. 2.9 Zusammenfassung 149
  6. 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
  7. Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
    1. 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
    2. 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
    3. 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
    4. 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
    5. 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
    6. 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
    7. 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
    8. 3.8 Zusammenfassung 253
  8. 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
  9. Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
    1. 4.1 Die Steuerung der „Landflucht“ 257
    2. 4.2 Die Steuerung des „Reichseinsatzes“ 277
    3. 4.3 Arbeit als alltägliches Kräftefeld 298
    4. 4.4 Gerechter Lohn oder Ausbeutung ? 322
    5. 4.5 „Menschenökonomie“ vor Ort 347
    6. 4.6 Zusammenfassung 371
  10. 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
  11. Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
    1. 5.1 „Bauerntum“ und Technik – (k)ein Widerspruch ? 375
    2. 5.2 „Bauernstolz“ oder Klientenmentalität ? 385
    3. 5.3 Staatshilfe als „Auslese“ 404
    4. 5.4 „Aufrüstung“ in den Bergen 436
    5. 5.5 Kapitaleinsatz vor Ort 472
    6. 5.6 Zusammenfassung 494
  12. 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
  13. Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
    1. 6.1 Das agronomische Expertensystem 497
    2. 6.2 Vordenker des „Aufbaus“ 506
    3. 6.3 Bindeglied zwischen Führung und „Landvolk“ ? 518
    4. 6.4 Wirtschaftsberatung vor Ort 534
    5. 6.5 Die imaginierte „Volksgemeinschaft“ 543
    6. 6.6 Zusammenfassung 566
  14. 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
  15. Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
    1. 7.1 Der Markt und seine (Un-)Ordnung 570
    2. 7.2 Lange Schatten, kurzer Prozess 585
    3. 7.3 Öffentliche Bewirtschaftung, privates Wirtschaften 593
    4. 7.4 Die verlorene „Erzeugungsschlacht“ ? 620
    5. 7.5 „Kriegserzeugungsschlacht“ vor Ort 642
    6. 7.6 Vom Wert der Landarbeit 669
    7. 7.7 Zusammenfassung 695
  16. 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
  17. Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
    1. 8.1 Jenseits von Traditionalität und Modernität 699
    2. 8.2 Großbritannien und die Ostmark im Krieg 709
    3. 8.3 Österreich zwischen Krise und Boom 726
    4. 8.4 Versuchsstation des völkischen Produktivismus 742
  18. Anmerkungen 755
  19. Tabellenanhang 824
  20. Farbabbildungsanhang 849
  21. Quellen- und Literaturverzeichnis 865
  22. Abkürzungsverzeichnis 918
  23. Tabellenverzeichnis 920
  24. Abbildungsverzeichnis 927
  25. Personenregister 933
  26. Ortsregister 934
  27. Sachregister 937
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