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554 Das „Landvolk“ und seine Meister
sen. Erhöhung des Viehpreises, was für die Gebirgsbauern am wirksamsten wäre,
üben sich wieder ungünstig aus, wegen Erhöhung des Fleischpreises. Die Spanne sen-
ken, von Viehpreis bis zum Fleischpreis, welche entschieden sehr hoch ist, ist wieder
nachteilig für die Gewerbetreibenden, welche auch sehr hoch besteuert ist. Gibt nur
die einzige Möglichkeit, der bedrängten Gebirgsbevölkerung zu helfen, die Steuern
eher senken als erhöhen. Die Reichsbeihilfe, welche bei Ankauf von Maschinen und
landwirtschaftlichen Betriebsartikeln eine gute Hilfe ist, weil wir eine große Anzahl
von Wirtschaften haben, welche in dieser Beziehung noch sehr im Rückstand sind,
ist auch für viele Bauern zwecklos, weil das nötige Geld, was über die Beihilfe fehlt,
nicht vorhanden ist. Es ist wahr, unsere Bauern haben beim Weltkriege noch grö-
ßere Lasten gehabt, aber Erstens waren damals die Einnahmen den Ausgaben bes-
ser angepaßt, und zweitens hatten wir eine gut gehende, durch eigene Ersparnissen
gut gestützte und befestigte Landwirtschaft welche die schweren Lasten des Krieges
leichter ertragen konnte. Man darf nicht vergessen, daß unsere Gebirgsbevölkerung in
der Sistemzeit schon in eine ganz mißerable Wirtschaftslage gekommen war, obwohl
in dieser kurzen Zeit, von Umbruch bis zum jetzigen Krieg, sehr viel geleistet wurde,
geht der Aufbau besonders der Landwirtschaft im Gebirge nicht so schnell. Deshalb
ist es höchst notwendig, und der Behörden strengste Pflicht das Loos der bedrängten
Gebirgsbevölkerung etwas zu erleichtern. Ich bin jener Bauer, dem Sie am 21. II.
1941 wegen Beihilfe für Viehunglück vorladen ließen. Unsere Bevölkerung ist sich
vollkommen klar, daß in dieser harten Zeit jeder die Pflicht hat, die schwersten Op-
fer zu bringen. Aber durch überhöhte Steuerlast die Wirtschaften zugrunde richten,
schädigt nur der Allgemeinheit. Nochmals bittend, daß das schwierige Problem der
Steuerfrage in richtigen Ausmaß gehört werde schließt Leitner Leopold. Heil Hitler !
[Schreibfehler im Original]“238
Leitners Brief folgt nicht den Positionen des rationellen Landwirts oder des sip-
penverbundenen Bauern, welche die Spezialdiskurse des NS-Apparats konstruieren.
Darüber hinaus übernimmt er nicht einfach die eine oder andere Position des In-
terdiskurses der NS-Dorfelite ; vielmehr scheint er mit ihnen spielerisch umzuge-
hen. Indem der Schreibende mehrmals zwischen bäuerlichen Subjektpositionen
hin- und herpendelt, verwendet er sie als Baumaterial für einen Selbstentwurf jen-
seits vorgefertigter Fremdentwürfe. Dieses „Sinnbasteln“239 wird etwa in folgender
Textsequenz greifbar : Zunächst spricht der politisch korrekte Volksgenosse – „Man
darf nicht vergessen, daß unsere Gebirgsbevölkerung in der Sistemzeit schon in
eine ganz mißerable Wirtschaftslage gekommen war“ –, der bald einen Sprecher-
wechsel ankündigt
– „obwohl in dieser kurzen Zeit, von Umbruch bis zum jetzigen
Krieg, sehr viel geleistet wurde“
– und das Wort an den Meckerer weitergibt
– „geht
der Aufbau besonders der Landwirtschaft im Gebirge nicht so schnell“ –, um dem
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Schlachtfelder
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Schlachtfelder
- Subtitle
- Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
- Author
- Ernst Langthaler
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20065-9
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 948
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorwort 9
- 1. Akteure in Agrarsystemen 11
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
- 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
- Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
- 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
- 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
- 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
- 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
- 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
- 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
- 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
- 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
- 2.9 Zusammenfassung 149
- 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
- Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
- 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
- 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
- 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
- 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
- 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
- 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
- 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
- 3.8 Zusammenfassung 253
- 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
- Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
- 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
- Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
- 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
- Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
- 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
- Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
- 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
- Anmerkungen 755
- Tabellenanhang 824
- Farbabbildungsanhang 849
- Quellen- und Literaturverzeichnis 865
- Abkürzungsverzeichnis 918
- Tabellenverzeichnis 920
- Abbildungsverzeichnis 927
- Personenregister 933
- Ortsregister 934
- Sachregister 937