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Nach 1918
Schlachtfelder - Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
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562 Das „Landvolk“ und seine Meister nicht möglich, mich an einen, Ihnen beliebigen Tage mich in Ihre Kanzlei vorladen zu lassen, daß ich Ihnen über diese Fälle mündlich berichten kann. Ich bin jeden Tag bereit, aber nächsten Donnerstag nicht, weil da Holzabrechnung ist, wo ich hier sein muß. Nochmals um eine mündliche Außsprache bittend, schließt Leitner Leopold. Heil Hitler ! [Schreibfehler im Original]“251 Mit diesem Bittbrief zugunsten dreier in Not geratener Familien eröffnet Leitner einen Einblick in das Beziehungsgeflecht, das ihn in die ländliche Gesellschaft einbettete (Abbildung 6.11). Mit jeder dieser Familien war der Briefschreiber mehr oder weniger eng verbunden. Die loseste Beziehung bestand mit der Bauernfamilie aus der Nachbargemeinde Schwarzenbach an der Pielach. Weitaus enger, nämlich über eine Nachbarschafts- und eine wechselseitige Bürgschaftsbeziehung, war er mit der Bauernfamilie in Frankenfels verbunden. Mit dem Frankenfelser Gemein- desekretär verband ihn eine langjährige Bekanntschaft, die sich in wiederholten Besuchen äußerte.252 Dieser Kontakt mit einem vor Ort tätigen staatlichen Amts- träger vermittelte ihm Sichtweisen aus dem Inneren des Behördenapparats, die  – wie etwa das Vertrauen in untergeordnete und das Misstrauen gegenüber überge- ordneten Ämtern  – in seine Briefe einflossen. Die Leitner-Familie war, über die bereits genannte benachbarte Familie hinaus, eng mit der übrigen Nachbarschaft verflochten. Dieses Netz diente nicht nur zur Mobilisierung von Arbeitskräften zu den Spitzenzeiten, sondern erwies auch in anderen Wechselfällen des Lebens seine Tragfähigkeit. Die drei Bürgen für Darlehen Leitners waren allesamt Bauern aus der unmittelbaren Nachbarschaft. Der Kreditnehmer selbst haftete wiederum für die Schulden von zwei seiner Bürgen. Zudem war einer der benachbarten Bürgen Leitners nach einem Viehunglück mit 40 Reichsmark eingesprungen. Eine ähn- liche Wechselbeziehung bestand mit einem in der Gemeinde ansässigen Schlos- sermeister, dem Leitner nicht nur 25 Reichsmark für Reparaturarbeiten schuldete, sondern für den er auch eine Bürgschaft eingegangen war. Schließlich schuldete der Tatzgern-Bauer einer benachbarten Kleinhäuslerin 100 Reichsmark, vermut- lich für eine Dienstleistung des kürzlich verstorbenen Ehemannes. Auch Leitners Verwandtschaftsbeziehungen erfüllten mehrfache Funktionen. Die Ehefrau des Bruders diente 1921 als Taufpatin der Tochter, die, einem ver- breiteten Muster der Namengebung folgend, auf den Vornamen der Schwägerin getauft wurde.253 Wie Nachbarschaften dienten auch Verwandtschaften zur Mo- bilisierung von Hilfe in Notfällen. Dem Schwiegervater in der Nachbargemeinde Schwarzenbach an der Pielach und dem weiter entfernt lebenden Schwager schul- dete Leitner 217 Reichsmark für die Aushilfe anlässlich eines Hagelschadens und eines Viehunglücks. Weitere Schulden hatte er bei der örtlichen Raiffeisenkasse durch ein 1936 gegebenes und kurz nach dem „Anschluss“ aufgestocktes Darlehen
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Schlachtfelder Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
Title
Schlachtfelder
Subtitle
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Author
Ernst Langthaler
Publisher
Böhlau Verlag
Location
Wien
Date
2016
Language
German
License
CC BY-NC 3.0
ISBN
978-3-205-20065-9
Size
15.5 x 23.5 cm
Pages
948
Categories
Geschichte Nach 1918

Table of contents

  1. Vorwort 9
  2. 1. Akteure in Agrarsystemen 11
  3. Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
    1. 1.1 Von (Re-)Aktionsmustern zu Interaktionsfeldern 11
    2. 1.2 Agrarsysteme und Landwirtschaftsstile im Kräftefeld 16
    3. 1.3 Instrumente der Feldvermessung 26
  4. 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
  5. Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
    1. 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
    2. 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
    3. 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
    4. 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
    5. 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
    6. 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
    7. 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
    8. 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
    9. 2.9 Zusammenfassung 149
  6. 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
  7. Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
    1. 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
    2. 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
    3. 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
    4. 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
    5. 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
    6. 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
    7. 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
    8. 3.8 Zusammenfassung 253
  8. 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
  9. Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
    1. 4.1 Die Steuerung der „Landflucht“ 257
    2. 4.2 Die Steuerung des „Reichseinsatzes“ 277
    3. 4.3 Arbeit als alltägliches Kräftefeld 298
    4. 4.4 Gerechter Lohn oder Ausbeutung ? 322
    5. 4.5 „Menschenökonomie“ vor Ort 347
    6. 4.6 Zusammenfassung 371
  10. 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
  11. Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
    1. 5.1 „Bauerntum“ und Technik – (k)ein Widerspruch ? 375
    2. 5.2 „Bauernstolz“ oder Klientenmentalität ? 385
    3. 5.3 Staatshilfe als „Auslese“ 404
    4. 5.4 „Aufrüstung“ in den Bergen 436
    5. 5.5 Kapitaleinsatz vor Ort 472
    6. 5.6 Zusammenfassung 494
  12. 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
  13. Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
    1. 6.1 Das agronomische Expertensystem 497
    2. 6.2 Vordenker des „Aufbaus“ 506
    3. 6.3 Bindeglied zwischen Führung und „Landvolk“ ? 518
    4. 6.4 Wirtschaftsberatung vor Ort 534
    5. 6.5 Die imaginierte „Volksgemeinschaft“ 543
    6. 6.6 Zusammenfassung 566
  14. 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
  15. Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
    1. 7.1 Der Markt und seine (Un-)Ordnung 570
    2. 7.2 Lange Schatten, kurzer Prozess 585
    3. 7.3 Öffentliche Bewirtschaftung, privates Wirtschaften 593
    4. 7.4 Die verlorene „Erzeugungsschlacht“ ? 620
    5. 7.5 „Kriegserzeugungsschlacht“ vor Ort 642
    6. 7.6 Vom Wert der Landarbeit 669
    7. 7.7 Zusammenfassung 695
  16. 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
  17. Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
    1. 8.1 Jenseits von Traditionalität und Modernität 699
    2. 8.2 Großbritannien und die Ostmark im Krieg 709
    3. 8.3 Österreich zwischen Krise und Boom 726
    4. 8.4 Versuchsstation des völkischen Produktivismus 742
  18. Anmerkungen 755
  19. Tabellenanhang 824
  20. Farbabbildungsanhang 849
  21. Quellen- und Literaturverzeichnis 865
  22. Abkürzungsverzeichnis 918
  23. Tabellenverzeichnis 920
  24. Abbildungsverzeichnis 927
  25. Personenregister 933
  26. Ortsregister 934
  27. Sachregister 937
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