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Nach 1918
Schlachtfelder - Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
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564 Das „Landvolk“ und seine Meister für Viehankäufe von 466 Reichsmark. Für bezogene Waren und Dienstleistungen stand er bei insgesamt zehn Kaufleuten, Handwerkern und Händlern aus Franken- fels und den Nachbargemeinden mit 308 Reichsmark in der Kreide. Privaten Geld- verleihern aus der näheren Umgebung schuldete er 360 Reichsmark. Schließlich forderte das Finanzamt Steuerrückstände von 87 Reichsmark. Insgesamt beliefen sich die finanziellen Verbindlichkeiten 1939 auf 1.578 Reichsmark.254 Leitners multifunktionales Beziehungsgeflecht war von wechselseitigen Bürg- schaften durchzogen. Das mit einer Bürgschaft verbundene Risiko, für die Schul- den des Kreditnehmers einstehen zu müssen, konnte auf unterschiedliche Arten verringert werden : durch wechselseitige Bürgschaften, aber auch durch Bürg- schaften entlang multifunktioneller Nachbarschafts- oder Geschäftsbeziehungen. Die wechselseitige, moralökonomisch abgestützte Abhängigkeit von Bürge und Schuldner schuf jenes Maß an Vertrauen, das für das Eingehen einer Bürgschafts- verpflichtung erforderlich war, und verringerte das Ausfallsrisiko. Auf diese Weise konnten ländliche Personen-Netzwerke das Beziehungs- und Vertrauenskapital zu Geldkapital konvertieren. Neben derartigen reziproken Beziehungen bestan- den auch eher marktmäßige Beziehungen, etwa zu Handwerkern, Händlern und Kreditgebern, sowie die Steuerverpflichtung an den umverteilenden Staat. Im Fall Leitners lagen Reziprozität, Redistribution und Markttausch als Grundmuster der Zirkulation von Gütern und Dienstleistungen in der ländlichen Gesellschaft im Gemenge. In diesem Zusammenhang erscheint der dritte Brief nicht als Einzelakt, sondern eingebunden in eine Serie wechselseitiger Tauschbeziehungen zwischen einander nahestehenden Personen. Der Charakter des Bittbriefs als reziproker Akt wird am deutlichsten am Fall des Vaters zweier zur Wehrmacht eingerückter Söhne, mit dem den Bittsteller nicht nur die für den flexiblen Austausch von Ar- beitskraft unverzichtbare Nachbarschaft, sondern auch eine wechselseitige Bürg- schaft verband. Da der Besitzer der kleinen Landwirtschaft „selbst nimmer recht gesund ist, so muß er eine fremde Arbeitskraft einstellen, denn das beschwerliche Holzfuhrwerk wie’s im Gebirge ist, kann er allein nicht verrichten. Bitte wäre es nicht möglich, während der Dienstzeit seiner Söhne im eine kleine Beihilfe zu gewähren ?“ Angesichts der vielfältigen Beziehungen mit dem in Not geratenen Hofbesitzer wäre die erbetene Beihilfe letztlich auch dem Bittsteller selbst zugu- tegekommen. Auf einer in den 1930er Jahren entstandenen Porträtfotographie posiert Leitner vor der Kamera mit wichtigen Insignien des ‚echten Bauern‘ – Ehefrau, Kinder, Taschenuhr. Der Ziehsohn hat seinen Arm durch eine als Inszenierung erkennbare Geste auf die Lehne des Stuhles, auf dem der Ziehvater Platz genommen hat, ge- stützt ; dieses Arrangement lässt ihn als logischen Hoferben erscheinen (Abbildung 6.12). Auf den ersten Blick erweckt die Fotografie den Eindruck einer festgefügten
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Schlachtfelder Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
Title
Schlachtfelder
Subtitle
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Author
Ernst Langthaler
Publisher
Böhlau Verlag
Location
Wien
Date
2016
Language
German
License
CC BY-NC 3.0
ISBN
978-3-205-20065-9
Size
15.5 x 23.5 cm
Pages
948
Categories
Geschichte Nach 1918

Table of contents

  1. Vorwort 9
  2. 1. Akteure in Agrarsystemen 11
  3. Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
    1. 1.1 Von (Re-)Aktionsmustern zu Interaktionsfeldern 11
    2. 1.2 Agrarsysteme und Landwirtschaftsstile im Kräftefeld 16
    3. 1.3 Instrumente der Feldvermessung 26
  4. 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
  5. Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
    1. 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
    2. 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
    3. 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
    4. 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
    5. 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
    6. 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
    7. 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
    8. 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
    9. 2.9 Zusammenfassung 149
  6. 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
  7. Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
    1. 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
    2. 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
    3. 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
    4. 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
    5. 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
    6. 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
    7. 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
    8. 3.8 Zusammenfassung 253
  8. 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
  9. Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
    1. 4.1 Die Steuerung der „Landflucht“ 257
    2. 4.2 Die Steuerung des „Reichseinsatzes“ 277
    3. 4.3 Arbeit als alltägliches Kräftefeld 298
    4. 4.4 Gerechter Lohn oder Ausbeutung ? 322
    5. 4.5 „Menschenökonomie“ vor Ort 347
    6. 4.6 Zusammenfassung 371
  10. 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
  11. Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
    1. 5.1 „Bauerntum“ und Technik – (k)ein Widerspruch ? 375
    2. 5.2 „Bauernstolz“ oder Klientenmentalität ? 385
    3. 5.3 Staatshilfe als „Auslese“ 404
    4. 5.4 „Aufrüstung“ in den Bergen 436
    5. 5.5 Kapitaleinsatz vor Ort 472
    6. 5.6 Zusammenfassung 494
  12. 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
  13. Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
    1. 6.1 Das agronomische Expertensystem 497
    2. 6.2 Vordenker des „Aufbaus“ 506
    3. 6.3 Bindeglied zwischen Führung und „Landvolk“ ? 518
    4. 6.4 Wirtschaftsberatung vor Ort 534
    5. 6.5 Die imaginierte „Volksgemeinschaft“ 543
    6. 6.6 Zusammenfassung 566
  14. 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
  15. Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
    1. 7.1 Der Markt und seine (Un-)Ordnung 570
    2. 7.2 Lange Schatten, kurzer Prozess 585
    3. 7.3 Öffentliche Bewirtschaftung, privates Wirtschaften 593
    4. 7.4 Die verlorene „Erzeugungsschlacht“ ? 620
    5. 7.5 „Kriegserzeugungsschlacht“ vor Ort 642
    6. 7.6 Vom Wert der Landarbeit 669
    7. 7.7 Zusammenfassung 695
  16. 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
  17. Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
    1. 8.1 Jenseits von Traditionalität und Modernität 699
    2. 8.2 Großbritannien und die Ostmark im Krieg 709
    3. 8.3 Österreich zwischen Krise und Boom 726
    4. 8.4 Versuchsstation des völkischen Produktivismus 742
  18. Anmerkungen 755
  19. Tabellenanhang 824
  20. Farbabbildungsanhang 849
  21. Quellen- und Literaturverzeichnis 865
  22. Abkürzungsverzeichnis 918
  23. Tabellenverzeichnis 920
  24. Abbildungsverzeichnis 927
  25. Personenregister 933
  26. Ortsregister 934
  27. Sachregister 937
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