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569Zusammenfassung
die Zeit nach dem Krieg rücken. Die Meister des „Landvolks“ im agronomischen
Expertensystem scheiterten auf diesem Gebiet offenbar an jenen Fehlsteuerungen,
die unbeabsichtigt, doch unweigerlich aus ihren Steuerungsversuchen folgten.
Aus Sicht der bäuerlichen Bevölkerung erschien das agronomische Experten-
system als ambivalent : Einerseits rieb sich die forcierte Verwissenschaftlichung
am bäuerlichen Autonomieanspruch auf dem Gebiet des Praxiswissens, wie die
auftauchenden Probleme in der Massen- (z. B. „Meckerer“) und Einzelberatung
(z. B. Hofberater) zeigen. Andererseits begannen die visionären Entwürfe einer
gestaltbaren Zukunft die Erwartungshorizonte gegenüber den Erfahrungsräumen
vergangener Generationen zu öffnen
– auch wenn dies die alltägliche Wirtschafts-
praxis zunächst kaum veränderte. Ambivalente Deutungen aus alltagsweltlicher
Perspektive erfuhr nicht nur das agronomische Expertensystem im Besonderen,
sondern auch das NS-System im Allgemeinen : Einerseits stieß der nationalsozi-
alistische Machtanspruch fallweise am bäuerlichen Eigensinn an Grenzen. Ande-
rerseits bot der „Führerstaat“ eine Projektionsfläche für die Utopie einer „rassisch“
exklusiven und sozial inklusiven „Volksgemeinschaft“, die Bauer und Bäuerin,
Knecht und Magd, Landarbeiter und Landarbeiterin ‚gerechte‘ Arbeits- und Le-
bensverhältnisse versprach. Gerade Akteure wie Leopold Leitner, deren Erfah-
rungsräume durch prekäre Umstände – vor allem auf kleineren und randständig
gelegenen Höfen – geprägt waren, verbanden mit der rassen- und sozialpolitisch
konturierten „Wohlfahrtsdiktatur“ einen verheißungsvollen Erwartungshorizont.
Obwohl die Realisierung des wohlfahrtsstaatlichen Ideals im Nationalsozialismus
in Ansätzen stecken blieb, entfaltete diese Vision auch in der Agrargesellschaft ein
sinnstiftendes – und damit systemstabilisierendes – Potenzial.
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Schlachtfelder
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Schlachtfelder
- Subtitle
- Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
- Author
- Ernst Langthaler
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20065-9
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 948
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorwort 9
- 1. Akteure in Agrarsystemen 11
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
- 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
- Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
- 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
- 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
- 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
- 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
- 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
- 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
- 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
- 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
- 2.9 Zusammenfassung 149
- 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
- Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
- 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
- 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
- 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
- 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
- 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
- 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
- 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
- 3.8 Zusammenfassung 253
- 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
- Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
- 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
- Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
- 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
- Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
- 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
- Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
- 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
- Anmerkungen 755
- Tabellenanhang 824
- Farbabbildungsanhang 849
- Quellen- und Literaturverzeichnis 865
- Abkürzungsverzeichnis 918
- Tabellenverzeichnis 920
- Abbildungsverzeichnis 927
- Personenregister 933
- Ortsregister 934
- Sachregister 937