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577Der
Markt und seine (Un-)Ordnung
Die Regulative der Marktordnung und Bewirtschaftung einerseits, des Kriegs-
wirtschaftsstrafrechts andererseits bezogen sich vor allem auf die Distribution der
Agrargüter zwischen Produzenten- und Konsumentenseite ; die Produktion dieser
Güter blieb davon unberührt. Die nationalsozialistische Agrarpolitik stand jedoch
angesichts sinkender Agrarimporte aus dem Ausland – wegen der Schrumpfung
der dafür bereitgestellten Devisen – und steigender Inlandsnachfrage – wegen des
industriellen Wachstumsschubs – unter dem „Diktat maximaler Produktionsleis-
tung“.32 Dies umso mehr, als die „Erkenntnis, daß Kriegsernährungswirtschaft erst-
wesentlich aktive Erzeugungspolitik sein muß“, als eine der „Lehren des Weltkrie-
ges“ 1914 bis 1918 galt.33 In diesem Zusammenhang rief der Reichsnährstand im
„Altreich“ ab 1934 nach dem italienischen Vorbild der „Weizenschlacht“ (battaglia
del grano) jährliche „Erzeugungsschlachten“ aus.34 Nach dem „Anschluss“ bezogen
die Machthaber auch die Ostmark in die „Erzeugungsschlacht“ ein. Agrarexper-
ten stuften das Intensivierungspotenzial der vergleichsweise extensiven Landwirt-
schaft Österreichs, vor allem der Milchwirtschaft, als erheblich ein.35 Dennoch
wurde von der Eingliederung der Ostmark in den deutschen Agrarraum keine we-
sentliche Steigerung des Selbstversorgungsgrades des Deutschen Reiches erwartet ;
die Erwartungen richteten sich vielmehr auf Wien als „Brücke“ zu den agrarischen
Überschussgebieten Südosteuropas.36 Ab Kriegsbeginn, verstärkt ab dem Über-
gang vom „Blitzkrieg“ zum Abnützungskrieg 1941/42 wurde die Forderung nach
Produktionssteigerungen auf das Halten des Status quo heruntergeschraubt.37
Die Schwerpunkte der „Erzeugungsschlacht“ wurden zwar jährlich nachjus-
tiert ; doch im Großen und Ganzen entsprach die Rangfolge dem, was Herbert Ba-
cke, der als Entscheidungsträger in der Vierjahresplanbehörde Richard W. Darré
als obersten Organisator der Ernährungswirtschaft schrittweise an den Rand
drängte,38 1939 vorgab :
„1. Insgesamt höhere Ernten.
2. Erweiterung, mindestens Erhaltung des Hackfruchtanbaus.
3. Verbreiterung einer wirtschaftseigenen Futtergrundlage (Zwischenfruchtanbau,
Gärfutterbehälter, Luzerne, zweckmäßige Weidewirtschaft, Mais usw.).
4. Verstärkter Ölpflanzenanbau.
5. Steigerung des Faserpflanzenanbaus zur Erreichung einer für die deutsche Volks-
wirtschaft notwendigen Eigenversorgung.
6. Verstärkter Gemüseanbau.
7. Gesunde und leistungsfähige Viehbestände, deren Umfang auf die eigene Futter-
grundlage abgestimmt ist.
8. Weitgehender Ausbau und Stabilisierung der Milchwirtschaft als eine der wich-
tigsten inländischen Fettquellen.
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Schlachtfelder
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Schlachtfelder
- Subtitle
- Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
- Author
- Ernst Langthaler
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20065-9
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 948
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorwort 9
- 1. Akteure in Agrarsystemen 11
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
- 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
- Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
- 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
- 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
- 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
- 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
- 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
- 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
- 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
- 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
- 2.9 Zusammenfassung 149
- 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
- Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
- 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
- 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
- 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
- 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
- 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
- 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
- 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
- 3.8 Zusammenfassung 253
- 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
- Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
- 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
- Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
- 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
- Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
- 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
- Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
- 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
- Anmerkungen 755
- Tabellenanhang 824
- Farbabbildungsanhang 849
- Quellen- und Literaturverzeichnis 865
- Abkürzungsverzeichnis 918
- Tabellenverzeichnis 920
- Abbildungsverzeichnis 927
- Personenregister 933
- Ortsregister 934
- Sachregister 937