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578 Ordnung und Chaos des Marktes
9. Die Vielzahl der Aufgaben, die durch die Stichworte „Kleintierzucht, Obstbau,
Gärtnerei, Süßlupinie, Pflanzenzucht usw.“ gekennzeichnet wird.“39
Diese Agenda leitete sich einerseits aus den veränderten Außenwirtschaftsbezie-
hungen des „Dritten Reiches“ – dem Abbruch von Handelsbeziehungen mit Eu-
ropa und Übersee, dem Abschluss von Handelsverträgen mit verbündeten und ab-
hängigen Staaten sowie der Ausbeutung der seit Kriegsbeginn besetzten Gebiete
–,
andererseits aus dem Produktionspotenzial im Reichsgebiet ab.40 Der Reichsnähr-
stand befand sich nämlich seit der zweiten Hälfte der 1930er Jahre in einem Di-
lemma : Er sollte das Produktionsvolumen ankurbeln, während die Einfuhren von
energiereichen Futterpflanzen gedrosselt und massive Preiserhöhungen aus Rück-
sicht auf die „Volksstimmung“ vermieden wurden.41 Den Ausweg – die „Kernfrage
der Erzeugungsschlacht“ – sah Backe in der Steigerung der Futtererzeugung.42
Inwieweit diese Zielsetzungen „irreal“ waren43 oder bis zu einem gewissen Grad
realisiert werden konnten,44 erörtert dieses Kapitel für Niederdonau.
Das Regulativ der „Erzeugungsschlacht“ umfasste drei grundlegende Steue-
rungsinstrumente, deren Gewichtung sich im Lauf der Jahre verschob : den pro-
pagandistischen Appell, die finanzielle Abgeltung und die behördliche Aufsicht.
Appelle zur „Erzeugungsschlacht“ erreichten die Leserschaft des Wochenblatts vom
Anfang bis zum Ende seines Erscheinens. Bereits die erste Ausgabe vom Mai 1938
rief die Leserschaft zum Kampf in der „Erzeugungsschlacht“ auf : Österreich mit-
ten in der Erzeugungsschlacht ! Wir werden das Versäumte nachholen.45 Und noch die
vermutlich letzte Ausgabe vom September 1944 erteilte Fünf vordringliche Anbau-
anweisungen für 1944/45.46 Dazwischen appellierten die Herausgeber wiederholt
teils ausholend, teils in „Merktafeln“ formelhaft verkürzt – aber stets durchsetzt
mit militärischen Metaphern
– an die Betriebsleiter als „Soldaten der Erzeugungs-
schlacht“47. Ernst Feichtinger, der Leiter der für die „Erzeugungsschlacht“ zustän-
digen Hauptabteilung II der Landesbauernschaft Donauland, gab im November
1939 in einem Leitartikel die Marschrichtung vor :
„Die Erzeugungsschlacht geht weiter – trotz aller Schwierigkeiten. Jetzt ist der Zeit-
punkt gekommen, wo alle Möglichkeiten, den Ertrag zu steigern, bis zum letzten
ausgenützt werden müssen. Der Kampf um die Aufrechterhaltung der Erzeugung
beginnt eigentlich erst so richtig. Wer jetzt beiseite stehen würde, der wäre fahnen-
flüchtig, ebenso wie der Soldat, der sich von der Front wegschleicht, um sich einen
Druckposten in der Etappe zu suchen. Denn das muß uns klar sein : in diesem Kriege
gibt es zwei Fronten, an welchen der Kampf geführt wird, die Front der Soldaten im
Felde und die Front der Wirtschaft in der Heimat. Und hier steht die Landwirtschaft
an entscheidender Stelle – denn alle anderen Dinge kann man leichter entbehren als
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Schlachtfelder
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Schlachtfelder
- Subtitle
- Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
- Author
- Ernst Langthaler
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20065-9
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 948
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorwort 9
- 1. Akteure in Agrarsystemen 11
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
- 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
- Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
- 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
- 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
- 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
- 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
- 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
- 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
- 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
- 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
- 2.9 Zusammenfassung 149
- 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
- Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
- 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
- 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
- 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
- 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
- 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
- 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
- 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
- 3.8 Zusammenfassung 253
- 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
- Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
- 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
- Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
- 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
- Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
- 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
- Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
- 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
- Anmerkungen 755
- Tabellenanhang 824
- Farbabbildungsanhang 849
- Quellen- und Literaturverzeichnis 865
- Abkürzungsverzeichnis 918
- Tabellenverzeichnis 920
- Abbildungsverzeichnis 927
- Personenregister 933
- Ortsregister 934
- Sachregister 937