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Nach 1918
Schlachtfelder - Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
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590 Ordnung und Chaos des Marktes sondern auch auf die lückenhafte Überlieferung des Aktenbestandes verweist (Ta- belle 7.6, Anhang). Welche der Unterschiede zwischen den Fällen waren vor-, welche nachrangig ? Den Richtern ging es in der Urteilsfindung vorrangig um die Entscheidung, ob ein schwerer oder leichterer Verstoß gegen die KWVO vorlag ; entsprechend wurde eine Zuchthaus- oder Gefängnisstrafe verhängt. Führt uns die richterliche Pers- pektive zum Hauptunterschied der Fälle sondergerichtlich Verurteilter ? Um diese Frage zu beantworten, führen bloße Häufigkeitsauszählungen eines Merkmals nach dem anderen kaum weiter ; vielmehr müssen wir die Wechselbeziehungen der Merkmale zugleich erfassen. Zu diesem Zweck ordnen wir die Fälle und ihre Merkmalsausprägungen, je nach (Un-)Ähnlichkeit, in einem mehrdimensionalen Raum der ländlichen Schattenwirtschaft an. Die erste Dimension, die 18 Prozent der Streuung erklärt, ist entgegen der Erwartung nicht von der richterlichen Un- terscheidung zwischen schweren und leichteren Verstößen gegen die KWVO be- stimmt. Sie unterscheidet einerseits Personen mit Grundbesitz, das heißt (unter-) bäuerliche Betriebsleiter/-innen, häufig mit Nebengewerbe, aus den Kreisen St. Pölten und Amstetten, die aufgrund der KWVO wegen „Schwarzschlachtung“ von Schweinen aus milderungswürdigen Motiven 1942 in Verfahren mit zwei Angeklagten zu mittleren Gefängnis- und Geldstrafen verurteilt wurden. Auf der anderen Seite dieser Dimension finden sich häufig Personen ohne Grundbesitz, das heißt in den 1910er und 1920er Jahren geborene, durchwegs ledige Bauern- söhne und -töchter, Landarbeiter/-innen und Gutsverwalter, vorzugsweise aus dem Kreis Nikolsburg, die aufgrund der VRStVO wegen Verfütterung von Getreide und missbräuchlichem Umgang mit sonstigen Produkten in erheblichem Ausmaß 1944 in Verfahren mit vier Angeklagten geringe Gefängnis- und keine Geldstrafen erhielten. Diese Dimension bezeichnet einen Klassenunterschied, der die Kriegs- wirtschaftsdelikte (unter-)bäuerlicher Grundbesitzer/-innen und landloser Lohn- empfänger scheidet. Auch die zweite Dimension, die weitere 13 Prozent der Streuung erklärt, führt nicht zur erwarteten Unterscheidung zwischen schweren und leichteren „Kriegs- wirtschaftsverbrechen“. Sie beschreibt das Spektrum zwischen dem „Schleich- händler“ aus dem Kreis Zwettl, der wegen wiederholten Verstoßes gegen die Preisbestimmungen aus eigennützigen Motiven und unter Verleitung weiterer Per- sonen  – trotz überdurchschnittlicher Ablieferungsleistungen ihrer großbäuerlichen Betriebe  – zu mittleren bis hohen Geldstrafen verurteilt wurde, und dem durch Falschangaben sein Amt missbrauchenden Reichsnährstands- oder Gemeinde- funktionär mit Parteibuch aus dem Kreis Melk. Ich lese diese Dimension als Orga- nisationsunterschied, der die Kriegswirtschaftsdelikte öffentlicher Funktionsträger und im Privaten agierender Geschäftemacher scheidet.
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Schlachtfelder Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
Title
Schlachtfelder
Subtitle
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Author
Ernst Langthaler
Publisher
Böhlau Verlag
Location
Wien
Date
2016
Language
German
License
CC BY-NC 3.0
ISBN
978-3-205-20065-9
Size
15.5 x 23.5 cm
Pages
948
Categories
Geschichte Nach 1918

Table of contents

  1. Vorwort 9
  2. 1. Akteure in Agrarsystemen 11
  3. Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
    1. 1.1 Von (Re-)Aktionsmustern zu Interaktionsfeldern 11
    2. 1.2 Agrarsysteme und Landwirtschaftsstile im Kräftefeld 16
    3. 1.3 Instrumente der Feldvermessung 26
  4. 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
  5. Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
    1. 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
    2. 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
    3. 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
    4. 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
    5. 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
    6. 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
    7. 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
    8. 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
    9. 2.9 Zusammenfassung 149
  6. 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
  7. Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
    1. 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
    2. 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
    3. 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
    4. 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
    5. 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
    6. 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
    7. 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
    8. 3.8 Zusammenfassung 253
  8. 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
  9. Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
    1. 4.1 Die Steuerung der „Landflucht“ 257
    2. 4.2 Die Steuerung des „Reichseinsatzes“ 277
    3. 4.3 Arbeit als alltägliches Kräftefeld 298
    4. 4.4 Gerechter Lohn oder Ausbeutung ? 322
    5. 4.5 „Menschenökonomie“ vor Ort 347
    6. 4.6 Zusammenfassung 371
  10. 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
  11. Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
    1. 5.1 „Bauerntum“ und Technik – (k)ein Widerspruch ? 375
    2. 5.2 „Bauernstolz“ oder Klientenmentalität ? 385
    3. 5.3 Staatshilfe als „Auslese“ 404
    4. 5.4 „Aufrüstung“ in den Bergen 436
    5. 5.5 Kapitaleinsatz vor Ort 472
    6. 5.6 Zusammenfassung 494
  12. 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
  13. Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
    1. 6.1 Das agronomische Expertensystem 497
    2. 6.2 Vordenker des „Aufbaus“ 506
    3. 6.3 Bindeglied zwischen Führung und „Landvolk“ ? 518
    4. 6.4 Wirtschaftsberatung vor Ort 534
    5. 6.5 Die imaginierte „Volksgemeinschaft“ 543
    6. 6.6 Zusammenfassung 566
  14. 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
  15. Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
    1. 7.1 Der Markt und seine (Un-)Ordnung 570
    2. 7.2 Lange Schatten, kurzer Prozess 585
    3. 7.3 Öffentliche Bewirtschaftung, privates Wirtschaften 593
    4. 7.4 Die verlorene „Erzeugungsschlacht“ ? 620
    5. 7.5 „Kriegserzeugungsschlacht“ vor Ort 642
    6. 7.6 Vom Wert der Landarbeit 669
    7. 7.7 Zusammenfassung 695
  16. 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
  17. Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
    1. 8.1 Jenseits von Traditionalität und Modernität 699
    2. 8.2 Großbritannien und die Ostmark im Krieg 709
    3. 8.3 Österreich zwischen Krise und Boom 726
    4. 8.4 Versuchsstation des völkischen Produktivismus 742
  18. Anmerkungen 755
  19. Tabellenanhang 824
  20. Farbabbildungsanhang 849
  21. Quellen- und Literaturverzeichnis 865
  22. Abkürzungsverzeichnis 918
  23. Tabellenverzeichnis 920
  24. Abbildungsverzeichnis 927
  25. Personenregister 933
  26. Ortsregister 934
  27. Sachregister 937
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