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608 Ordnung und Chaos des Marktes
stationiert war, trat 1941 bis 1942 in Höflein, Scharndorf und Wildungsmauer,
Kreis Bruck an der Leitha, als Aufkäufer von Rind- und Schweinefleisch für Mi-
litärzwecke auf. Nur in zwei nachweisbaren Fällen fand er unmittelbar Zugang zu
seinen Lieferanten ; überwiegend bediente er sich zweier lokaler Vermittler, die die
Geschäftskontakte anbahnten : des Viehsensals und Kleinbauern Josef Mandorfer
aus Höflein und eines Fleischergehilfen aus Scharndorf. Weiters engagierte er vier
Bauern aus Höflein als Helfer, die an Schlachtung, Verarbeitung, Transport und
Lagerung mitwirkten. Die Vermittler und Helfer wurden für ihre Dienste bezahlt.
Die zu überhöhten Preisen angekauften Rinder und Schweine wurden meist noch
an Ort und Stelle „schwarz“ geschlachtet, verarbeitet und in ein Zwischenlager
transportiert. Die Amtsautorität des uniformierten Unteroffiziers, der überzeugend
behauptete, das Militär sei von den Bewirtschaftungsvorschriften ausgenommen,
sowie die persönliche Bekanntschaft mit dem Viehsensal als regionalem Makler
für Viehverkäufe und dem Fleischergehilfen schufen bei den Viehaltern und -hal-
terinnen ein Maß an Vertrauen, das das Risiko der ungewöhnlichen Geschäfte
vertretbar erscheinen ließ. Über den Viehsensal wurden acht, über den Fleischer-
gehilfen sechs Viehbesitzer/-innen in den „Schleichhandel“ verwickelt. Vereinzelt
trugen Verwandtschaftsbeziehungen zur Einbindung weiterer Personen in das
Netzwerk bei. Insgesamt wurden über zweieinhalb Tonnen Rind- und Schweine-
fleisch in dunkle Kanäle geleitet ; knapp 900 Reichsmark an über dem amtlichen
Niveau liegenden Preisen flossen in die Taschen der bäuerlichen Verkäufer/-innen.
Der Unteroffizier dürfte die Ware großteils im „Schleichhandel“ weiter veräußert
haben. Seine Helfer rechtfertigten sich damit, dass sie guten Gewissens ortsübliche
Arbeitstätigkeiten gegen Bezahlung erbracht hätten. Der professionelle, arbeitstei-
lige Charakter dieses ausgedehnten Tauschnetzwerks begünstigte die Delegation
der eigenen Verantwortung auf andere, die Rechtfertigung als kleines Rädchen im
großen Getriebe.113
Im Vergleich zeichneten sich die drei ansonsten äußerst unterschiedlichen
Tauschnetzwerke durch eine Gemeinsamkeit aus : die Vermittler/-innen oder,
netz werkanalytisch gesprochen, Makler/-innen.114 Vermittler/-innen erweiterten
mit ihren eigenen Beziehungen die beschränkten Ego-Netzwerke jener Erzeu-
ger/ -in nen, die Produkte auf dem „Schwarzmarkt“ zu veräußern trachteten. Über
die Makler/-innen entstanden Verbünde von Ego-Netzwerken, in denen die
„Schwarzwaren“ entlang der Beziehungsstränge über mehrere Knoten vom Er-
zeuger zum Verbraucher gelangten. Meist kannten die Personen am Beginn und
Ende dieser Beziehungsketten einander nicht persönlich, hingen über die Pro-
duktflüsse dennoch zusammen. Wie die Fälle zeigen, konnten die Makler/-innen
vielfältige Positionen im Gesamtnetzwerk einnehmen : Im ersten Fall handelte es
sich um zwei Brüder aus dem Bekanntenkreis des bäuerlichen Erzeugers, die ihre
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Schlachtfelder
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Schlachtfelder
- Subtitle
- Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
- Author
- Ernst Langthaler
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20065-9
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 948
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorwort 9
- 1. Akteure in Agrarsystemen 11
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
- 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
- Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
- 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
- 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
- 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
- 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
- 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
- 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
- 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
- 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
- 2.9 Zusammenfassung 149
- 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
- Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
- 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
- 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
- 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
- 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
- 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
- 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
- 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
- 3.8 Zusammenfassung 253
- 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
- Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
- 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
- Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
- 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
- Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
- 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
- Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
- 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
- Anmerkungen 755
- Tabellenanhang 824
- Farbabbildungsanhang 849
- Quellen- und Literaturverzeichnis 865
- Abkürzungsverzeichnis 918
- Tabellenverzeichnis 920
- Abbildungsverzeichnis 927
- Personenregister 933
- Ortsregister 934
- Sachregister 937