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Nach 1918
Schlachtfelder - Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
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612 Ordnung und Chaos des Marktes sowie einiges Garten-, Weide- und Bauland, unterstand der Gutsverwaltung. Auf dem Gut wurden 14 bis 16 Personen, darunter auch Kriegsgefangene, beschäf- tigt  – und mussten verköstigt werden ; zudem wurde das Schlossgebäude für die Kinderlandverschickung beschlagnahmt und die Ankunft von 70 bis 80 Personen angekündigt. Um einen Teil des gutsbetrieblichen Nahrungsbedarfes selbst zu er- zeugen, wurden vier Schweine und einige Dutzend Stück Geflügel gehalten ; diese ernährten sich großteils aus Küchenabfällen. Doch zur Jahreswende 1941/42 kam die Gutsverwaltung in eine Zwickmühle : Einerseits schrieb das Ernährungsamt dem Gut die Ablieferung von Eiern vor. Andererseits wurde, trotz Vorsprache bei Bürgermeister und Ortsbauernführer, die Zuweisung von Futtermitteln verweigert. Kappler gab daraufhin Anweisung, das bei den bäuerlichen Hofbesitzern und -be- sitzerinnen der Umgebung begehrte Brennholz aus dem Schlosspark gegen Fut- termittel einzutauschen.131 Es dauerte nicht lange, bis ein Gutsarbeiter, ein „Partei- genosse“, darüber Meldung erstattete : Wiederholt hätten Bauern der Umgebung Säcke voll Brotgetreide  – dessen Verfütterung verboten war  – angeliefert ; zudem hätte der Gutsverwalter Geselchtes, Speck und andere Fleischwaren geschenkt er- halten. Da die Anzeige der NSDAP-Ortsgruppenleitung bei der Gendarmerie zu- nächst im Sand zu verlaufen drohte, drängte die NSDAP-Kreisleitung den Land- rat in Tulln zum Einschreiten.132 Offenbar war der einflussreiche Gutsverwalter mit altösterreichisch-aristokratischem Habitus den örtlichen Parteifunktionären ein Dorn im Auge. Nun kamen die Ermittlungen in Gang. Reihenweise wurden Zeugen, Gutsbe- dienstete und bäuerliche Holzabnehmer/-innen, einvernommen. Manche bestä- tigten die Vorwürfe ; andere wiederum gaben an, lediglich für Ernährungszwecke unbrauchbares Getreide geliefert zu haben. Kappler rechtfertigte sich unter Bei- ziehung eines Rechtsanwalts damit, dass er nur die Anordnung, Brennholz ge- gen Futtermittel einzutauschen, erteilt habe ; abgewickelt habe die Geschäfte der Kanzleileiter. Zudem sei er ein Fachmann für Forstwirtschaft ; von Landwirtschaft im Allgemeinen und Getreidewirtschaft im Besonderen verstehe er wenig. Zu gu- ter Letzt verwies er auf seine Ehre als hoch dekorierter Weltkriegsoffizier adeliger Abstammung.133 Diese Verteidigungsstrategie fand vor dem Sondergericht weit- gehend Anerkennung : Das Fehlverhalten des Angeklagten wurde teilweise den übrigen Gutsbediensteten angelastet ; er habe sich wegen der Lieferverpflichtung von Eiern und dem Fehlen von Futtermitteln in einer Zwangslage befunden ; er sei hauptsächlich mit der Forst-, kaum jedoch mit der Landwirtschaft befasst gewe- sen ; die zweckwidrig verwendeten Futtermittel seien durch die Eierlieferung und den Fleischzuwachs der Ernährungswirtschaft nicht entzogen worden. Mangels „böswilliger“ Gefährdung der öffentlichen Bedarfsdeckung rückte das Gericht von der Anklage wegen Verbrechens gegen die KWVO ab und sah lediglich ein Ver-
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Schlachtfelder Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
Title
Schlachtfelder
Subtitle
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Author
Ernst Langthaler
Publisher
Böhlau Verlag
Location
Wien
Date
2016
Language
German
License
CC BY-NC 3.0
ISBN
978-3-205-20065-9
Size
15.5 x 23.5 cm
Pages
948
Categories
Geschichte Nach 1918

Table of contents

  1. Vorwort 9
  2. 1. Akteure in Agrarsystemen 11
  3. Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
    1. 1.1 Von (Re-)Aktionsmustern zu Interaktionsfeldern 11
    2. 1.2 Agrarsysteme und Landwirtschaftsstile im Kräftefeld 16
    3. 1.3 Instrumente der Feldvermessung 26
  4. 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
  5. Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
    1. 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
    2. 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
    3. 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
    4. 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
    5. 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
    6. 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
    7. 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
    8. 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
    9. 2.9 Zusammenfassung 149
  6. 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
  7. Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
    1. 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
    2. 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
    3. 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
    4. 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
    5. 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
    6. 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
    7. 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
    8. 3.8 Zusammenfassung 253
  8. 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
  9. Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
    1. 4.1 Die Steuerung der „Landflucht“ 257
    2. 4.2 Die Steuerung des „Reichseinsatzes“ 277
    3. 4.3 Arbeit als alltägliches Kräftefeld 298
    4. 4.4 Gerechter Lohn oder Ausbeutung ? 322
    5. 4.5 „Menschenökonomie“ vor Ort 347
    6. 4.6 Zusammenfassung 371
  10. 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
  11. Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
    1. 5.1 „Bauerntum“ und Technik – (k)ein Widerspruch ? 375
    2. 5.2 „Bauernstolz“ oder Klientenmentalität ? 385
    3. 5.3 Staatshilfe als „Auslese“ 404
    4. 5.4 „Aufrüstung“ in den Bergen 436
    5. 5.5 Kapitaleinsatz vor Ort 472
    6. 5.6 Zusammenfassung 494
  12. 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
  13. Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
    1. 6.1 Das agronomische Expertensystem 497
    2. 6.2 Vordenker des „Aufbaus“ 506
    3. 6.3 Bindeglied zwischen Führung und „Landvolk“ ? 518
    4. 6.4 Wirtschaftsberatung vor Ort 534
    5. 6.5 Die imaginierte „Volksgemeinschaft“ 543
    6. 6.6 Zusammenfassung 566
  14. 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
  15. Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
    1. 7.1 Der Markt und seine (Un-)Ordnung 570
    2. 7.2 Lange Schatten, kurzer Prozess 585
    3. 7.3 Öffentliche Bewirtschaftung, privates Wirtschaften 593
    4. 7.4 Die verlorene „Erzeugungsschlacht“ ? 620
    5. 7.5 „Kriegserzeugungsschlacht“ vor Ort 642
    6. 7.6 Vom Wert der Landarbeit 669
    7. 7.7 Zusammenfassung 695
  16. 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
  17. Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
    1. 8.1 Jenseits von Traditionalität und Modernität 699
    2. 8.2 Großbritannien und die Ostmark im Krieg 709
    3. 8.3 Österreich zwischen Krise und Boom 726
    4. 8.4 Versuchsstation des völkischen Produktivismus 742
  18. Anmerkungen 755
  19. Tabellenanhang 824
  20. Farbabbildungsanhang 849
  21. Quellen- und Literaturverzeichnis 865
  22. Abkürzungsverzeichnis 918
  23. Tabellenverzeichnis 920
  24. Abbildungsverzeichnis 927
  25. Personenregister 933
  26. Ortsregister 934
  27. Sachregister 937
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