Web-Books
in the Austria-Forum
Austria-Forum
Web-Books
Geschichte
Nach 1918
Schlachtfelder - Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Page - 615 -
  • User
  • Version
    • full version
    • text only version
  • Language
    • Deutsch - German
    • English

Page - 615 - in Schlachtfelder - Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945

Image of the Page - 615 -

Image of the Page - 615 - in Schlachtfelder - Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945

Text of the Page - 615 -

615Öffentliche Bewirtschaftung, privates Wirtschaften Innerhalb der kleinsten Gruppe der wegen Kriegswirtschaftsdelikten vor dem Sondergericht Verurteilten, der bäuerlich-amtlichen Falschmelder, steht im Zentrum der Fall des 1893 geborenen Ignaz Zehner, der zusammen mit seiner Ehefrau in Würnsdorf, Kreis Melk, eine Landwirtschaft mit dreieinhalb Hektar sowie einen Wagnereibetrieb führte. 1942 verurteilte ihn das Sondergericht beim Landgericht Wien unter dem Vorsitz von Richter Wotawa wegen Amtsmissbrauchs in Ver- bindung mit einem Verbrechen gegen die KWVO zu acht Monaten schwerem Kerker. Das Gericht betrachtete es als erwiesen, dass der Verurteilte als amtlicher Wieger bei Hausschlachtungen mehrfach Schlachtgewichte gefälscht hatte. Als mildernd wurden das Schadensausmaß, der persönliche Eindruck des Angeklag- ten, das Tatmotiv  – „falsch angebrachte[s] Mitleid“  –, das reumütige Geständnis, der Militärdienst im Ersten Weltkrieg und der Umstand, dass die Söhne allesamt im Kriegseinsatz standen, als erschwerend die Tatwiederholung und das Zusam- mentreffen zweier Straftaten gewertet.140 Zwar ist der Fall äußerst lückenhaft dokumentiert ; so lässt sich weder der Vorgang, der das Strafverfahren in Gang brachte, noch der Urteilsvollzug nach- vollziehen. Dennoch wirft er ein Schlaglicht auf die dörfliche Beziehungskultur zwischen den lokalen Funktionseliten des NS-Staates sowie der Gruppe bäuer- licher Grundbesitzer/-innen. Zehner gehörte der NSDAP an und übte das Amt eines Blockleiters aus. 1941 wurde er zusammen mit drei anderen bäuerlichen Be- triebsbesitzern vom Bürgermeister zum amtlichen Wieger bestellt. In dieser Funk- tion hatte er bei genehmigten Hausschlachtungen das Gewicht der geschlachte- ten Tiere festzustellen ; daraus wurde dann errechnet, wie lange die betreffenden Selbstversorger/-innen mit dem gewonnenen Fleisch auskommen mussten. Wie die Ermittlungen ergaben, bescheinigte Zehner innerhalb von vier Monaten in mindestens zehn Fällen Untergewichte von jeweils acht bis 40 Kilogramm, zu- sammen 192 Kilogramm. Zwei dieser Fälle betrafen eine wechselseitige Falschbe- scheinigung mit einem der anderen Gemeindewieger : Im ersten Fall protokollierte Zehner für eine vom Kollegen vorgenommene Schlachtung ein Untergewicht, im zweiten Fall revanchierte sich der Kollege bei ihm. Das Sondergericht erkannte keinerlei Anhaltspunkte für eine „Gewinnsucht“ des Angeklagten. Vielmehr folgte es dessen Rechtfertigung, „[…] daß er die Taten nur begangen hat aus Mitleid mit den Bauern, die ihm erklärt hatten, daß sie mit den ihnen zugebilligten Rationen nicht auskämen, zumal da sie ih- ren im Felde stehenden Kindern und ihren landwirtschaftlichen Hilfsarbeitern gele- gentlich Fleischzuwendungen machen müssten, und daß er schließlich auch durch das schlechte Beispiel von anderen Wiegern verführt worden sei, die die Gewichtsfest- stellung bei Hausschlachtungen ebenfalls nicht ganz genau vorgenommen hätten.“141
back to the  book Schlachtfelder - Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945"
Schlachtfelder Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
Title
Schlachtfelder
Subtitle
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Author
Ernst Langthaler
Publisher
Böhlau Verlag
Location
Wien
Date
2016
Language
German
License
CC BY-NC 3.0
ISBN
978-3-205-20065-9
Size
15.5 x 23.5 cm
Pages
948
Categories
Geschichte Nach 1918

Table of contents

  1. Vorwort 9
  2. 1. Akteure in Agrarsystemen 11
  3. Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
    1. 1.1 Von (Re-)Aktionsmustern zu Interaktionsfeldern 11
    2. 1.2 Agrarsysteme und Landwirtschaftsstile im Kräftefeld 16
    3. 1.3 Instrumente der Feldvermessung 26
  4. 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
  5. Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
    1. 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
    2. 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
    3. 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
    4. 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
    5. 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
    6. 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
    7. 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
    8. 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
    9. 2.9 Zusammenfassung 149
  6. 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
  7. Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
    1. 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
    2. 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
    3. 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
    4. 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
    5. 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
    6. 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
    7. 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
    8. 3.8 Zusammenfassung 253
  8. 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
  9. Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
    1. 4.1 Die Steuerung der „Landflucht“ 257
    2. 4.2 Die Steuerung des „Reichseinsatzes“ 277
    3. 4.3 Arbeit als alltägliches Kräftefeld 298
    4. 4.4 Gerechter Lohn oder Ausbeutung ? 322
    5. 4.5 „Menschenökonomie“ vor Ort 347
    6. 4.6 Zusammenfassung 371
  10. 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
  11. Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
    1. 5.1 „Bauerntum“ und Technik – (k)ein Widerspruch ? 375
    2. 5.2 „Bauernstolz“ oder Klientenmentalität ? 385
    3. 5.3 Staatshilfe als „Auslese“ 404
    4. 5.4 „Aufrüstung“ in den Bergen 436
    5. 5.5 Kapitaleinsatz vor Ort 472
    6. 5.6 Zusammenfassung 494
  12. 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
  13. Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
    1. 6.1 Das agronomische Expertensystem 497
    2. 6.2 Vordenker des „Aufbaus“ 506
    3. 6.3 Bindeglied zwischen Führung und „Landvolk“ ? 518
    4. 6.4 Wirtschaftsberatung vor Ort 534
    5. 6.5 Die imaginierte „Volksgemeinschaft“ 543
    6. 6.6 Zusammenfassung 566
  14. 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
  15. Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
    1. 7.1 Der Markt und seine (Un-)Ordnung 570
    2. 7.2 Lange Schatten, kurzer Prozess 585
    3. 7.3 Öffentliche Bewirtschaftung, privates Wirtschaften 593
    4. 7.4 Die verlorene „Erzeugungsschlacht“ ? 620
    5. 7.5 „Kriegserzeugungsschlacht“ vor Ort 642
    6. 7.6 Vom Wert der Landarbeit 669
    7. 7.7 Zusammenfassung 695
  16. 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
  17. Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
    1. 8.1 Jenseits von Traditionalität und Modernität 699
    2. 8.2 Großbritannien und die Ostmark im Krieg 709
    3. 8.3 Österreich zwischen Krise und Boom 726
    4. 8.4 Versuchsstation des völkischen Produktivismus 742
  18. Anmerkungen 755
  19. Tabellenanhang 824
  20. Farbabbildungsanhang 849
  21. Quellen- und Literaturverzeichnis 865
  22. Abkürzungsverzeichnis 918
  23. Tabellenverzeichnis 920
  24. Abbildungsverzeichnis 927
  25. Personenregister 933
  26. Ortsregister 934
  27. Sachregister 937
Web-Books
Library
Privacy
Imprint
Austria-Forum
Austria-Forum
Web-Books
Schlachtfelder