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654 Ordnung und Chaos des Marktes
gemein. Die darauf abgestimmten Wirtschaftsstile der Betriebsbesitzer/-innen
waren disponiert für die (Fremd- und Selbst-)Positionierung als „Ölfruchtan-
bauer“. Folglich erfuhr der Flachsanbau in der Region Matzen, wo er vor dem
„Anschluss“ kaum Verbreitung gefunden hatte, erhebliche Zuwächse ; hingegen
war in der Region Litschau, einem traditionellen Anbaugebiet, kein Boom zu ver-
zeichnen. Dass dieser betriebliche Entwicklungspfad Abzweigungen und Umkehr
nicht ausschloss, zeigen die Ackerbäuerinnen : Sie engagierten sich 1943 stark im
Flachsbau, zogen sich im Folgejahr jedoch weitgehend wieder zurück
– vermutlich
wegen Anbauproblemen, zu denen Wochenblatt immer wieder markt-, staats- und
wissenschaftsabhängige Lösungsanleitungen bot.191
Die Bemessung der betrieblichen Leistungen in der „Kriegserzeugungsschlacht“
wird durch fehlende oder lückenhafte Ertragsdaten in den Hofkarten und Klein-
betriebslisten erheblich eingeschränkt. Offenbar dienten diese Dokumente vorran-
gig der Registrierung der Faktorausstattung ; über die Produktmengen – entspre-
chende Tabellen waren in der Hofkarte zwar enthalten, wurden aber nicht oder
nur lückenhaft ausgefüllt – führten die Ernährungsämter eigene Aufzeichnungen.
Daher lässt sich die Produktions- und Produktivitätsentwicklung lediglich für die
vier Hauptgetreidearten, die wichtigsten Hackfrüchte – Kartoffeln, Futter- und
Zuckerrüben – sowie die Kuhmilch nachzeichnen. In der Region Litschau zeigten
die Erträge der Beispielbetriebe eine große Bandbreite (Tabelle 7.12) : Auf dem
Arbeiterbauernfamilien-Betrieb von Leopoldine Eichler in Heidenreichstein lagen
die Hektar- und Kuhleistungen, sofern dokumentiert, erheblich unter dem Be-
zirksdurchschnitt ; der Nebenerwerbsbauernfamilien-Betrieb der Familie Moser in
Loimanns erzielte Durchschnittserträge ; vielfach überdurchschnittliche Leistun-
gen, vor allem bei Milch, wurden auf dem Mischwirtschafter-Betrieb von Lambert
Ziegler in Kleinpertholz registriert.
Die Region Mank zeigte eine ähnliche Streuung (Tabelle 7.13) : Der Ochsenbau-
ern-Betrieb von Leopold Hofer in Plankenstein erbrachte unterdurchschnittliche
Flächen- und Kuherträge ; hingegen lagen die Leistungen des Maschinenmänner-
Betriebs von Anton Herzog in Bischofstetten bei den Flächenerträgen im Durch-
schnitt, bei den Kuherträgen deutlich darüber ; die Getreide- und Hackfruchter-
träge des Gewerbebauern-Betriebes von Leopold Dutter in Texing sind nur für
1941 dokumentiert ; dessen Milchleistungen lagen im Durchschnitt oder knapp
darunter. Auffällig ist der Knick der Getreideerträge 1942 – besonders krass im
Fall des Bischofstettener Beispielbetriebes
–, der witterungsbedingte Ernteausfälle
vermuten lässt.
Auch in der Region Matzen streuten die Betriebsleistungen, jedoch weniger
stark als in den anderen beiden Regionen (Tabelle 7.14) : Auf dem Weinhauerfa-
milien-Betrieb von Johann Futterknecht in Raggendorf hinkten die Getreideer-
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Schlachtfelder
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Schlachtfelder
- Subtitle
- Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
- Author
- Ernst Langthaler
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20065-9
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 948
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorwort 9
- 1. Akteure in Agrarsystemen 11
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
- 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
- Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
- 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
- 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
- 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
- 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
- 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
- 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
- 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
- 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
- 2.9 Zusammenfassung 149
- 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
- Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
- 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
- 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
- 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
- 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
- 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
- 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
- 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
- 3.8 Zusammenfassung 253
- 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
- Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
- 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
- Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
- 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
- Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
- 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
- Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
- 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
- Anmerkungen 755
- Tabellenanhang 824
- Farbabbildungsanhang 849
- Quellen- und Literaturverzeichnis 865
- Abkürzungsverzeichnis 918
- Tabellenverzeichnis 920
- Abbildungsverzeichnis 927
- Personenregister 933
- Ortsregister 934
- Sachregister 937