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Nach 1918
Schlachtfelder - Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
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688 Ordnung und Chaos des Marktes Die bürokratische Konstruktion der „Leistungsfähigkeit“ rechtfertigt ein ge- wisses Misstrauen gegenüber der Gültigkeit der betreffenden Zahlenangaben. Die „Leistungsfähigkeit“ baute nicht  – wie der auf Buchführungsaufzeichnungen be- ruhende Reinertrag  – auf einer Messung, sondern einer Schätzung auf. Sie folgte der Annahme einer „ordnungsgemäßen Wirtschaftsführung“ unter „normalen“ Bedingungen am jeweiligen Standort. Gleichwohl lag es im Interesse der Land- stelle als staatlicher Behörde, die „Leistungsfähigkeit“ möglichst realitätsgerecht zu konstruieren : Ein zu niedriger Wert hätte das Tilgungs- und Verzinsungspo- tenzial der Betriebsinhaber/-innen nicht ausgeschöpft und dem Staat zusätzliche Kosten an Entschuldungs- und Aufbaumitteln verursacht ; ein zu hoher Wert hätte die Schuldner/-innen überlastet und den Verfahrensablauf gefährdet. Die adäquate Bemessung der „Leistungsfähigkeit“ war nicht nur der „Angelpunkt“ des Verfah- rens, sondern auch der darüber geknüpften Verbindung zwischen dem paternalis- tischen Staat als ‚Über-Gläubiger‘ und seinen bäuerlichen Klienten. Ausdruck des Bemühens, eine realitätsgerechte Konstruktion zu schaffen, waren etwa die Kor- rekturen nach oben oder unten, die die Sachbearbeiter fallweise an der berechne- ten „Leistungsfähigkeit“ vornahmen. Einmal wurde die „Leistungsfähigkeit“ von 200 auf 300 Reichsmark erhöht, weil die Ausgedingelasten gerichtlich herabge- setzt worden waren.235 Ein andermal erfolgte mit dem knappen Hinweis „Berg- bauer ! ! !“ eine Senkung von 385 auf 280 Reichsmark.236 Wir können vor diesem Hintergrund annehmen, dass die Berechnungen der Landstelle nicht völlig aus der Luft gegriffen waren ; folglich eröffnen die Betriebsbesichtigungsprotokolle der Entschuldungs- und Aufbauverfahren einen Blick auf die betrieblichen und häus- lichen Geldflüsse, der mittels Hofkarten  – mangels Angaben über Einnahmen und Ausgaben  – oder betrieblicher Buchführungsergebnisse  – mangels Verfügbarkeit  – nicht möglich wäre. Zudem sind diese Aufzeichnungen nicht auf das bäuerliche Segment beschränkt, sondern umfassen auch die unterbäuerlichen Gruppen der ländlichen Gesellschaft. Verschaffen wir uns einen ersten Eindruck von den betrieblichen Geldflüssen anhand jener Beispielbetriebe, die für unterschiedliche Ausprägungen der Ent- schuldungs- und Aufbauaktion stehen : einer Grünland-Waldwirtschaft in Fran- kenfels mit 30 Hektar, einer Hackfruchtwirtschaft in Heidenreichstein mit knapp zehn Hektar, einer Futterwirtschaft in St. Leonhard am Forst mit zwölf Hektar und einer Acker-Weinbauwirtschaft in Auersthal mit etwas mehr als zwei Hek- tar (Tabelle 7.30). Auf der Einnahmenseite treten die unterschiedlichen Gewichte der Betriebszweige hervor : der Verkauf lebender und geschlachteter Rinder, der in Frankenfels fast zwei Drittel der Einnahmen brachte, in Heidenreichstein noch ein Viertel abwarf, in St. Leonhard am Forst und vor allem in Auersthal geringere Bedeutung hatte ; die Milcherzeugung, die in St. Leonhard am Forst die wichtigste
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Schlachtfelder Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
Title
Schlachtfelder
Subtitle
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Author
Ernst Langthaler
Publisher
Böhlau Verlag
Location
Wien
Date
2016
Language
German
License
CC BY-NC 3.0
ISBN
978-3-205-20065-9
Size
15.5 x 23.5 cm
Pages
948
Categories
Geschichte Nach 1918

Table of contents

  1. Vorwort 9
  2. 1. Akteure in Agrarsystemen 11
  3. Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
    1. 1.1 Von (Re-)Aktionsmustern zu Interaktionsfeldern 11
    2. 1.2 Agrarsysteme und Landwirtschaftsstile im Kräftefeld 16
    3. 1.3 Instrumente der Feldvermessung 26
  4. 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
  5. Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
    1. 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
    2. 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
    3. 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
    4. 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
    5. 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
    6. 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
    7. 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
    8. 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
    9. 2.9 Zusammenfassung 149
  6. 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
  7. Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
    1. 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
    2. 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
    3. 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
    4. 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
    5. 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
    6. 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
    7. 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
    8. 3.8 Zusammenfassung 253
  8. 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
  9. Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
    1. 4.1 Die Steuerung der „Landflucht“ 257
    2. 4.2 Die Steuerung des „Reichseinsatzes“ 277
    3. 4.3 Arbeit als alltägliches Kräftefeld 298
    4. 4.4 Gerechter Lohn oder Ausbeutung ? 322
    5. 4.5 „Menschenökonomie“ vor Ort 347
    6. 4.6 Zusammenfassung 371
  10. 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
  11. Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
    1. 5.1 „Bauerntum“ und Technik – (k)ein Widerspruch ? 375
    2. 5.2 „Bauernstolz“ oder Klientenmentalität ? 385
    3. 5.3 Staatshilfe als „Auslese“ 404
    4. 5.4 „Aufrüstung“ in den Bergen 436
    5. 5.5 Kapitaleinsatz vor Ort 472
    6. 5.6 Zusammenfassung 494
  12. 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
  13. Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
    1. 6.1 Das agronomische Expertensystem 497
    2. 6.2 Vordenker des „Aufbaus“ 506
    3. 6.3 Bindeglied zwischen Führung und „Landvolk“ ? 518
    4. 6.4 Wirtschaftsberatung vor Ort 534
    5. 6.5 Die imaginierte „Volksgemeinschaft“ 543
    6. 6.6 Zusammenfassung 566
  14. 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
  15. Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
    1. 7.1 Der Markt und seine (Un-)Ordnung 570
    2. 7.2 Lange Schatten, kurzer Prozess 585
    3. 7.3 Öffentliche Bewirtschaftung, privates Wirtschaften 593
    4. 7.4 Die verlorene „Erzeugungsschlacht“ ? 620
    5. 7.5 „Kriegserzeugungsschlacht“ vor Ort 642
    6. 7.6 Vom Wert der Landarbeit 669
    7. 7.7 Zusammenfassung 695
  16. 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
  17. Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
    1. 8.1 Jenseits von Traditionalität und Modernität 699
    2. 8.2 Großbritannien und die Ostmark im Krieg 709
    3. 8.3 Österreich zwischen Krise und Boom 726
    4. 8.4 Versuchsstation des völkischen Produktivismus 742
  18. Anmerkungen 755
  19. Tabellenanhang 824
  20. Farbabbildungsanhang 849
  21. Quellen- und Literaturverzeichnis 865
  22. Abkürzungsverzeichnis 918
  23. Tabellenverzeichnis 920
  24. Abbildungsverzeichnis 927
  25. Personenregister 933
  26. Ortsregister 934
  27. Sachregister 937
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