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Stark vom Gedanken der Individualität geprägt war das Denken Franz Hör-
burgers: Der Pädagoge lobte Johann Gottfried Herder dafür, dass er ihn für die
Erziehungswissenschaft fruchtbar gemacht habe.41 Guido Zernatto betonte die
Einmaligkeit geistiger Leistungen, die niemals als Ausdruck von Gesetzen „na-
turwissenschaftlicher Art“ gedeutet werden dürften42, ein genuin konservativer
Gedanke.43 Eine Gefahr für die Individualität sah er im Nationalsozialismus,
weil dieser nicht die Reife der Einzelkräfte, sondern die Durchführung eines
Zentralprogramms wünsche: „Er sieht nicht die Vielfalt der Blumen auf seiner
großen Flur, sondern nur das gleiche Gras.“44 Ähnlicher Metaphern bediente
sich Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi45, der folgerte: „jedes Schematisie-
ren von Natürlichem sucht Lebendiges durch Totes, Organisches durch Mecha-
nisches, Wandelbares durch Starres adäquat auszudrücken.“46
Die politischen Konsequenzen benannte Julius Raab mit besonderem
Bezug zu Österreich: Die „totale Beherrschung des Menschen durch eine
Partei“ sei der „Wesenart“ der Bewohner dieses Landes entgegengesetzt;
er könne sich „mit dem Gedanken, in einem totalen Staat zu leben, einfach
nicht vertraut machen“.47 Eduard Tomaschek nannte die Österreicher „zum
Unterschied von den Deutschen im Reiche draußen ein Volk von Individu-
alisten, kein Herdenvolk. Und wir verlangen auch in der Beurteilung der
einzelnen Rechtsfälle eine gewisse Individualisierung“. Diesen Satz sprach
er in Zusammenhang mit seinen Überlegungen zur Verwaltungsreform, wo-
bei er den Wunsch äußerte, die Gesetzestechnik möge sich vom „preußischen
Formalismus“ befreien.48
5.3 Freiheit und Ordnung
Äußere Bindung und innere Freiheit
Prägend für den Personalismus ist das Bekenntnis zur Freiheit. Hiermit
ist nicht die 1789 intendierte Herauslösung des Einzelnen aus Bindungen,
und wirtschaftlicher Tatsachen und Ideen, aus denen ein souveräner Staat seine Existenz-
berechtigung ableitet“; adam, Staatsidee, 43.
41 hörburGer, Geschichte, 94.
42 Zernatto, Vom Wesen, 117.
43 hanisch, Konservatives und revolutionäres Denken, 25.
44 Zernatto, Die Wahrheit, 35; Zimmer, Guido Zernatto, 106; ähnlich taucher, Gedanken, 24.
45 coudenhove-KalerGi, Totaler Mensch, 101.
46 coudenhove-KalerGi, Adel, 7; vgl. ZieGerhofer-Prettenthaler, Botschafter Europas, 373.
47 raab, Selbstporträt, 113.
48 tomascheK, Die nächsten Aufgaben, 8.
5.3 FREIHEIT UND ORDNUNG 215
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„Berufsstand“ oder „Stand“?
Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Title
- „Berufsstand“ oder „Stand“?
- Subtitle
- Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Author
- Erika Kustatscher
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien - Köln - Weimar
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20341-4
- Size
- 17.4 x 24.6 cm
- Pages
- 682
- Keywords
- Parlamentarische Demokratie, berufsständische Ordnung, Naturrecht, katholische Soziallehre, Personalismus, konservatives Denken, traditionale Herrschaft, autoritäre Herrschaft, Totalitarismus, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, politische Utopie
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorwort 11
- Abkürzungen und Siglen 17
- 1. Das Erkenntnisinteresse 19
- 2. Zur Methode 45
- 3. Der politisch-geistesgeschichtliche Rahmen 59
- 3.1 Österreich 1918–1938 59
- 3.2 Geistige Anregungen aus den frühen zwanziger Jahren: Othmar Spann, Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi 84
- 3.3 Die „Gesellschaftsreform“ auf christlich-sozialer Grundlage 90
- 3.4 Die Enzyklika Quadragesimo anno und die katholischen Sozialtheoretiker 96
- 3.5 Die Nachbarschaft des faschistischen Italien 105
- 3.6 Berufsständische Entwürfe 156
- 3.8 Die Organe der Bundesgesetzgebung und ihre Besetzung 165
- 3.9 Die Maiverfassung in der Analyse kritischer Zeitgenossen 170
- 4. Die politisch-gesellschaftliche Lage in der Wahrnehmung bürgerlicher Kreise 181
- 5. Der Mensch ist Person 211
- 6. Standesbewusstsein 301
- 7. Die berufsständische Ordnung 435
- 8. Staat und Gesellschaft 487
- 8.1 Die Gesellschaft als Entfaltungsraum der Person 488
- 8. 2 Wesen, Aufgaben und Grenzen des Staates, Verhältnis zu den Ständen 490
- 8.3 Das Subsidiaritätsprinzip 494
- 8.4 Föderalismus versus Zentralismus 498
- 8.5 Das Autoritäre 503
- 8.6 Schul- und Volksbildung 511
- 8.7 Ständestaat und autoritäres System auf dem Prüfstand 518
- 9. Resümee: status ist ordo 527
- 10. Anhang 541
- 11. Quellen und Literatur 580