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„Das Gleichheitsideal fordert den totalen Staat.“
Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi1
6. STANDESBEWUSSTSEIN
Was bisher an Elementen, die das Denken der in die Organe der Bundesge-
setzgebung Berufenen ausmachten, erarbeitet wurde, bildet einen Fundus
an Werten, in dem auch ihre Vorstellungen vom Ständischen verankert wa-
ren. Gezielt thematisiert wurden diese selten; sofern das Wort „Stand“ oder
damit verwandte Begriffe Verwendung fanden, geschah dies in der Regel un-
reflektiert und die Begrifflichkeit blieb vage.2
6.1 Semantische Unschärfen
Besondere Unschärfe fällt in Art. 16/1 der Maiverfassung auf, der „Vorrechte
der Geburt, des Stands oder der Klasse“ ausschloss.3 Selbst unter den Regie-
rungsmitgliedern war man sich über die Bedeutung von „Stand“ nicht einig.4
Benno Karpeles hatte 1933 mit Blick auf QA festgestellt: Es sei bedauerlich,
dass für das Anliegen der Enzyklika kein anderes Wort zur Verfügung stehe
als „Stand“.5 Odo Neustädter-Stürmer war sich bewusst, dass die Festlegung
auf sieben Berufsstände eine Verengung des Begriffs bedeutete6; aus prak-
tischen Gründen befürwortete er aber die Gleichsetzung mit „Berufsstand“
und schloss andere Bedeutungen ausdrücklich aus.7 Dasselbe taten Josef
Dobretsberger8 und Johannes Messner, der von „Leistungsgemeinschaft“
sprach; eine vielfältigere Verwendung würde Verwirrung stiften.9 Er leug-
nete aber nicht, dass „Gruppenbildung aufgrund ähnlicher geistiger Bildung,
sozialer Stellung, politischen Einflusses auch eine gesellschaftsformende
1 coudenhove-KalerGi, Totaler Mensch, 101.
2 So selbst beim ansonsten sensiblen Friedrich Funder; funder, Sturm, 13.
3 die neue österreichische verfassunG, 37; böcK, Öffentlichkeitsarbeit, 150 f.; zu möglichen
Missverständnissen ebd. 167; ähnlich die Formulierung in Art. 109 der Weimarer Reichs-
verfassung; bohn, Ständestaatskonzepte, 1; zur Begrifflichkeit vgl. PutscheK, Ständische
Verfassung, 19.
4 P. huemer, Entstehung, 606.
5 KarPeles, Klassenkampf, 16; zum Verständnis von ordo in QA lindGens, Die politischen
Implikationen, 90.
6 neustädter-stürmer, Gesetzgebung, 49.
7 neustädter-stürmer, Gesetzgebung, 10.
8 dobretsberGer, Vom Sinn, 53.
9 messner, Ordnung, 13.
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„Berufsstand“ oder „Stand“?
Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Title
- „Berufsstand“ oder „Stand“?
- Subtitle
- Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Author
- Erika Kustatscher
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien - Köln - Weimar
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20341-4
- Size
- 17.4 x 24.6 cm
- Pages
- 682
- Keywords
- Parlamentarische Demokratie, berufsständische Ordnung, Naturrecht, katholische Soziallehre, Personalismus, konservatives Denken, traditionale Herrschaft, autoritäre Herrschaft, Totalitarismus, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, politische Utopie
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorwort 11
- Abkürzungen und Siglen 17
- 1. Das Erkenntnisinteresse 19
- 2. Zur Methode 45
- 3. Der politisch-geistesgeschichtliche Rahmen 59
- 3.1 Österreich 1918–1938 59
- 3.2 Geistige Anregungen aus den frühen zwanziger Jahren: Othmar Spann, Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi 84
- 3.3 Die „Gesellschaftsreform“ auf christlich-sozialer Grundlage 90
- 3.4 Die Enzyklika Quadragesimo anno und die katholischen Sozialtheoretiker 96
- 3.5 Die Nachbarschaft des faschistischen Italien 105
- 3.6 Berufsständische Entwürfe 156
- 3.8 Die Organe der Bundesgesetzgebung und ihre Besetzung 165
- 3.9 Die Maiverfassung in der Analyse kritischer Zeitgenossen 170
- 4. Die politisch-gesellschaftliche Lage in der Wahrnehmung bürgerlicher Kreise 181
- 5. Der Mensch ist Person 211
- 6. Standesbewusstsein 301
- 7. Die berufsständische Ordnung 435
- 8. Staat und Gesellschaft 487
- 8.1 Die Gesellschaft als Entfaltungsraum der Person 488
- 8. 2 Wesen, Aufgaben und Grenzen des Staates, Verhältnis zu den Ständen 490
- 8.3 Das Subsidiaritätsprinzip 494
- 8.4 Föderalismus versus Zentralismus 498
- 8.5 Das Autoritäre 503
- 8.6 Schul- und Volksbildung 511
- 8.7 Ständestaat und autoritäres System auf dem Prüfstand 518
- 9. Resümee: status ist ordo 527
- 10. Anhang 541
- 11. Quellen und Literatur 580