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modernen zentralistischen Staates und der abstrakten Demokratie über-
wunden. Die den Stand ausmachenden Lebenskreise seien mit Sitte, per-
sönlichen Beziehungen etc. „durchwebt“; in ihnen sei jeder behütet.41 Kurt
Schuschnigg sprach vom „Schutz seines Stands“, den ein jeder genieße, der
wisse, „dass er sich an gewisse Grenzen zu halten hat“.42
Spanns Schüler, allen voran Walter Heinrich, der das Modell des Meisters
den kapitalistischen Rahmenbedingungen anpasste, propagierten dieses Ge-
dankengut intensiv. Den Beruf nannte Heinrich „ein Amt im Dienste der Ge-
samtheit“ und würdigte die darauf aufbauende Ordnung als Chance, jeden
in seinem Lebens- und Wirkungskreis Führer sein zu lassen. Der Staat als
Höchststand sei Garant der Ordnung.43 Franz Schweinitzhaupt stellte dieses
Modell in öffentlichen Vorträgen als Möglichkeit vor, die Besten und Tüch-
tigsten zu erkennen.44 Oskar Zaglits hielt die berufsständische Ordnung für
geeignet, die auf Unterschieden der Geburtsstände aufgebauten Sozialord-
nungen zu beseitigen.45
Die Verwendung von Begriffen wie „Bürgerstand“, „Bauernstand“, „Arbei-
terstand“, „Mittelstand“ lehnte Spann als „Abarten“ des Standesbegriffs ab.46
Dass im Folgenden gleichwohl eine eingehende Beschäftigung mit diesen Be-
griffen erfolgt, liegt daran, dass sie von den Zeitgenossen, die sich nicht in
der für Philosophen und Kulturkritiker selbstverständlichen Klarheit von
in Jahrhunderten gewachsenen Mentalitäten zu trennen vermochten, regel-
mäßig verwendet wurden, und zwar mit einer Selbstverständlichkeit, aus
der zu schließen ist, dass sie in den damit bezeichneten Kategorien dachten.
6.3 Der Stand und das Standesgemäße
Formen des Altständischen
Die Vorstellung von Stand im vormodernen Sinn lebte im Bewusstsein vieler
Zeitgenossen auch nach dem Ersten Weltkrieg weiter.47 1933 wurde als Aus-
41 diamant, Katholiken, 216; resele, Ständestaatskonzeption, 26; schneller, Zwischen Ro-
mantik und Faschismus, 44 f.
42 K. schuschniGG, Österreichs Erneuerung, 117.
43 dassel, Gegen Parteienstaat, 24–28; vgl. meyer, Stand, 209.
44 schweinitZhauPt, Vom Parteienstaat, 10–13.
45 ZaGlits, Aufbauversuche, 11.
46 H. walter, Ständewesen, 112; Oswald Spengler siedelte Handwerker, Beamte, Künstler und
Arbeiter außerhalb der „echten Standesordnung“ an; selbst Bürger seien im Vergleich zu den
„Urständen“ Adel und Priestertum nur ein Rest; sPenGler, Untergang, 969–971 und 989.
47 breuer, Anatomie, 101–103. 6.
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„Berufsstand“ oder „Stand“?
Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Title
- „Berufsstand“ oder „Stand“?
- Subtitle
- Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Author
- Erika Kustatscher
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien - Köln - Weimar
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20341-4
- Size
- 17.4 x 24.6 cm
- Pages
- 682
- Keywords
- Parlamentarische Demokratie, berufsständische Ordnung, Naturrecht, katholische Soziallehre, Personalismus, konservatives Denken, traditionale Herrschaft, autoritäre Herrschaft, Totalitarismus, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, politische Utopie
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorwort 11
- Abkürzungen und Siglen 17
- 1. Das Erkenntnisinteresse 19
- 2. Zur Methode 45
- 3. Der politisch-geistesgeschichtliche Rahmen 59
- 3.1 Österreich 1918–1938 59
- 3.2 Geistige Anregungen aus den frühen zwanziger Jahren: Othmar Spann, Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi 84
- 3.3 Die „Gesellschaftsreform“ auf christlich-sozialer Grundlage 90
- 3.4 Die Enzyklika Quadragesimo anno und die katholischen Sozialtheoretiker 96
- 3.5 Die Nachbarschaft des faschistischen Italien 105
- 3.6 Berufsständische Entwürfe 156
- 3.8 Die Organe der Bundesgesetzgebung und ihre Besetzung 165
- 3.9 Die Maiverfassung in der Analyse kritischer Zeitgenossen 170
- 4. Die politisch-gesellschaftliche Lage in der Wahrnehmung bürgerlicher Kreise 181
- 5. Der Mensch ist Person 211
- 6. Standesbewusstsein 301
- 7. Die berufsständische Ordnung 435
- 8. Staat und Gesellschaft 487
- 8.1 Die Gesellschaft als Entfaltungsraum der Person 488
- 8. 2 Wesen, Aufgaben und Grenzen des Staates, Verhältnis zu den Ständen 490
- 8.3 Das Subsidiaritätsprinzip 494
- 8.4 Föderalismus versus Zentralismus 498
- 8.5 Das Autoritäre 503
- 8.6 Schul- und Volksbildung 511
- 8.7 Ständestaat und autoritäres System auf dem Prüfstand 518
- 9. Resümee: status ist ordo 527
- 10. Anhang 541
- 11. Quellen und Literatur 580