Seite - 7 - in Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus. - Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
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Nichts ist so alt wie die Zeitung von gestern, so
lautet eine bekannte Redewendung. Dieses Buch han-
delt von alten fotografisch illustrierten Zeitungen. Sie
sind nicht von gestern, sondern von vorgestern. Die
Nachrichten und Botschaften, vor allem aber die ge-
druckten Bilder, die sie enthalten, mögen zwar längst
der Vergangenheit angehören. Dennoch bilden sie ein
überaus faszinierendes kulturgeschichtliches Archiv,
das allzu lange übersehen wurde. Wenn wir voller
Neugier in diese papierene Welt eintauchen, wenn
wir in den längst verblichenen Zeitungen zu blättern
beginnen, eröffnen sich uns ganz neue Perspektiven
auf die Vergangenheit – und auch auf die Gegenwart.
„Nur die Zeitungen“, schreibt der amerikanische
Schriftsteller und Kulturkritiker Lincoln Kirstein im
Jahr 1938, „(...) haben in ihrer blinden Energie verse-
hentlich (...) ein gewaltiges Monument unserer Zeit
für zukünftige Historiker beschworen.“1 In ihrem
umfassenden Elan der täglichen oder wöchentlichen
Berichterstattung haben sie nämlich – gewissermaßen
nebenbei – eine gewaltige Sammlung von schriftli-
chen Dokumenten und Bildern hinterlassen, die, mit
einem größeren zeitlichen Abstand und neuer Bril-
le gelesen, eine höchst spannende kulturgeschicht-
liche Lektüre ergeben. Das Anliegen dieses Buches
ist genau dies: das Zeitungsarchiv als Quelle der Ge-
schichts- und vor allem der Fotogeschichtsschreibung
nutzbar zu machen. Es geht mir darum, anhand von
Originaldokumenten aus Zeitungen und Zeitschrif-
ten die Entstehungsgeschichte des Fotojournalismus
nachzuzeichnen. Die Recherchen führen uns zunächst
zurück in die letzten Jahre des 19. Jahrhunderts. Von
hier aus werden wir in zahlreichen Stationen einer
bisher noch wenig bekannten Kultur- und Gesell-
schaftsgeschichte der illustrierten Presse folgen.
Kurz vor der Jahrhundertwende werden die ers-
ten Fotografien in Zeitungen gedruckt. Was in der
Welt geschieht, findet ab jetzt seinen Niederschlag in
veröffentlichten Bildern. Um 1890 entsteht ein neu- er journalistischer Beruf, der des Pressefotografen.
Dieser arbeitet im Auftrag von illustrierten Zeitungen
und Magazinen und verwandelt Schlagzeilen in aus-
drucksstarke Bilder. Je mehr aktuelle Bildberichte ge-
druckt werden, desto schneller wird das Geschäft der
Pressefotografie. Allmählich wird aus dem behäbig
arbeitenden Atelierfotografen, der um die Jahrhun-
dertwende gelegentlich und meist nebenbei einige
Pressebilder machte, ein rasender Reporter. Dieser
ist auf seiner Jagd nach Nachrichten und Sensatio-
nen viel unterwegs, zunächst zu Fuß oder mit öffent-
lichen Verkehrsmitteln, später mit dem Motorrad,
dem Auto und manchmal sogar mit dem Flugzeug.
Gedruckt wird nämlich vor allem das, was aktuell,
neu und aufsehenerregend ist. Mit der zunehmenden
Anzahl der veröffentlichten Bilder wächst auch der
Konkurrenzkampf zwischen den Reportern. Häufig
haben jene Fotografen die Nase vorne, deren Pres-
seabzüge früher in den Redaktionen eintreffen. Die
rasende Arbeitsweise der Pressefotografen ist weni-
ger eine kokette Selbststilisierung, vielmehr ist sie
das Ergebnis von Produktionsdruck, Konkurrenz und
ökonomischer Notwendigkeit.
Aber auch der Blick der Fotojournalisten, der sich
in der Zeitungsfotografie niederschlägt, trägt der zu-
nehmenden Beschleunigung Rechnung. Zunächst ar-
beitet der Fotograf noch mit schweren Kameras und
häufig mit Stativ. Nach der Wende zum 20. Jahrhun-
dert werden die Fotojournalisten immer mobiler, ihr
Arbeitsradius erweitert sich, ihr Gepäck wird immer
leichter. In den 1920er Jahren fotografieren einige von
ihnen mit neuen, leichten und dennoch lichtstarken
Kameras wie etwa der Ermanox oder der Leica. An
die Stelle von Einzelbildern treten nach dem Ersten
Weltkrieg immer öfter Bildserien und Bildgeschich-
ten. In der modernen Fotoreportage, die ihren ersten
Höhepunkt um 1930 erlebt, wird die Bildberichter-
stattung weiter dynamisiert. Bild und Text wachsen
zu neuen erzählerischen Einheiten zusammen. Oft
Auf den Spuren der rasenden Reporter ·
Vorwort 1
Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
- Untertitel
- Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
- Autor
- Anton Holzer
- Verlag
- Primus Verlag
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-86312-073-3
- Abmessungen
- 23.0 x 29.0 cm
- Seiten
- 498
- Schlagwörter
- Fotojournalismus, Pressefotografie, Fotografie, Fotografiegeschichte, Mediengeschichte, Kulturgeschichte, Populärkultur, Österreich
- Kategorie
- Medien
Inhaltsverzeichnis
- Auf den Spuren der rasenden Reporter Vorwort 7
- Neue illustrierte Welt Einleitung 10
- Bilder, Nachrichten, Sensationen Die Zeitungsstadt Wien um 1900 22
- Die Jagd nach Sensationen Pioniere der Pressefotografie 36
- Fotos statt Zeichnungen Das Entstehen einer fotografischen Öffentlichkeit 51
- Bild und Text Die Rhetorik der Zeitungsseiten 59
- Redaktion, Druck, Vertrieb Wie eine illustrierte Zeitschrift entsteht 70
- Im Rampenlicht Der Kaiser im Blick der Fotografen 77
- Als die Männer fliegen lernten Die ersten Wiener Flugschauen 91
- Mit der Kamera bewaffnet Fotografie und Propaganda im Ersten Weltkrieg 105
- Theater der Macht Parlament und Politik in Bildern 117
- Kampf um die Straße Demonstrationen, Kundgebungen und Massenpolitik 134
- Im Schatten der Konzerne Politische Illustrierte in der Zwischenkriegszeit 145
- Bilder für alle Die Welt der Magazine und Revuen 170
- Bilder als Propaganda Die illustrierte Regierungspresse nach 1934 194
- Erzählende Bilder Die moderne Fotoreportage in der Zwischenkriegszeit 203
- Handel mit Bildern Die Rolle der Fotoagenturen 234
- Politische Bilder Die Kultur der Arbeiterfotografie 248
- Amerika, ein Traum Wolkenkratzer und Tiller Girls 263
- Bubikopf und Zigarette Bilder der „Neuen Frau“ 277
- Experiment und Bewegung Tanzschritte in eine neue Zeit 286
- Wenn die Hüllen fallen Erotik, Sexualität und Nacktfotografie in der Zwischenkriegszeit 296
- Schöne neue Warenwelt Reklame und Mode in der Fotografie 304
- Dramatische Nähe Sport und Fotografie 317
- Frauen hinter der Kamera Die neuen Fotografinnen 331
- Die kurze Zeit der Avantgarde Fotografische Aufbrüche um 1930 344
- Landschaft, Berge, Brauchtum Heimatfotografie in den 1930er Jahren 363
- Fotografisches Feuilleton „Der Sonntag”: ein vergessenes Forum moderner Reportagefotografie 378
- Demagogie in Bildern Hitler in Österreich 1938 411
- Den Krieg vor Augen Nationalsozialistische Medienpolitik und Ästhetik 419
- Eine andere Kulturgeschichte Schluss 437
- Anhang