Seite - 317 - in Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus. - Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945

317 „Go-o-o-o-al!“, titelt das Illustrierte Sportblatt am 29. November 1924.1 Das Foto auf dem Umschlag, es stammt von Lothar Rübelt, zeigt nicht die Spieler, nicht den Ball und auch nicht das Spielfeld. Nur ju- belnde Fans des Wiener Sportclubs Rapid (Abb.  1). Das Ergebnis des Matches – Rapid gewinnt 3 : 0 gegen die Amateure Wien – taucht erst im Kleingedruckten unter dem Bild auf. Denn die Fußballergebnisse vom Wochenende kennt, wenn die Wochenzeitung Tage später gedruckt ist, ohnehin bereits die gesamte Stadt. Immerhin ist Fußball in der Zwischenkriegs- zeit bei Weitem die beliebteste Sportart in Österreich. Zehntausende von Fans ziehen Wochenende für Wo- chenende in die Stadien, um die eigenen Mannschaf- ten spielen zu sehen. Anfang der 1930er Jahre wird man von der legen- dären österreichischen „Wunderelf“ sprechen. „Öster- reichs Wundermannschaft“, heißt es im Wiener Maga- zin Anfang 1932, „nennt man die elf Sportler, die seit dem Kampf gegen Italien im Februar 1931 kein einzi- ges Gefecht verloren haben; sie alle pflegen die soge- nannte Wiener Schule des Fußballs, die sich aus der schottischen Schule entwickelt hat.“2 Zu dieser Zeit jagen Nationalmannschaft und Wiener Klubs von Sieg zu Sieg, monatelang reißt die Serie der Erfolge nicht ab: April 1931 in Wien: Tschechoslowakei – Öster- reich 1 : 2, Mai 1931 in Wien: Schottland – Österreich 0 : 5, Juni 1931 in Berlin: Deutschland – Österreich 0 : 6, Retourkampf in Wien: Deutschland – Österreich 0 : 5, Oktober 1931 in Budapest: Ungarn – Österreich 2 : 2, November 1931 in Basel: Schweiz – Österreich 1 : 8, 24. Januar 1932 in Paris: Paris – Wien 1 : 5, 27. Januar 1932 in Brüssel: Bruxelles Diables – Wien 0 : 1. Bis Anfang 1933 verliert das österreichische National- team kein einziges Spiel. Alle großen Heimspiele finden im 1921 erbauten Stadion auf der Wiener Hohen Warte statt. Sie sind bis auf den letzten Platz ausverkauft. Die größte und modernste Anlage in Kontinentaleuropa fasst bis zu Dramatische Nähe · Sport und Fotografie 24 80 000 Zuschauer. Es ist auffallend: Mitten in der schwersten Wirtschaftskrise – 1933 ist ein Viertel der österreichischen Bevölkerung arbeitslos –, setzt die österreichische Nationalmannschaft zum patrioti- schen Höhenflug an. Die „Wunderelf“ wird in der in- Abb.  1  „Go-o-o-o-al!!“  Fußball- zuschauer  beim  Spiel  Rapid  ge- gen  Amateure  Wien.  Illustriertes Sportblatt,  29.  November  1924,  Titelseite.  Foto:  Lothar  Rübelt.